Foto:AWO

Viernheim (AWO) – Kinder brauchen gute Antworten auf diese drei Fragen, damit eine innere Heimat entsteht, sagt Herbert Renz-Polster. Beim Vortragsabend des AWO Familienzentrums Kirschenstraße in der Kulturscheune erklärt der Kinderarzt und Bestsellerautor, warum das so wichtig ist – nicht nur, aber besonders in Zeiten von Corona.

Manche Kinder kämen in Zeiten von Corona richtig gut klar, andere sind verunsichert, ziehen sich zurück oder sind der Nähe von Eltern und anderen Bezugspersonen besonders bedürftig. Wieder andere zeigen deutliche Verhaltensauffälligkeiten. All das ist berechtigt. Die Kinder drücken aus, wie es ihnen geht. Aufgabe der Eltern sei es, zu versuchen zu verstehen, was los ist. Wenn die Eltern hartnäckig sind, werden sie den Grund fast immer finden: „Stimmt, eigentlich ist die Situation richtig belastend für mein Kind!“

Das Urbedürfnis des Kindes ist nach Renz-Polster grundsätzlich das nach Heimat, also nach dem Gefühl: Hier ist es gut, hier ist ein Netz, das mich hält. In der Coronakrise ist es besonders wichtig, dass Eltern für ihre Kinder Heimatgeber sind. Das ist viel entscheidender, als akribisch dafür zu sorgen, dass sie sämtlichen Schulstoff nachholen. Mit „Heimat geben“ meint er den Kindern Antworten zu geben auf drei existentielle Fragen:

Bin ich sicher? Das ist die Kernfrage des Menschen. Ein Kind würde vielleicht formulieren: Du passt doch auf mich auf? Es will wissen, dass es nicht in Not gerät.
Die Frage nach Anerkennung: Bin ich okay? Mit anderen Worten: Muss ich so sein, wie andere das haben wollen, oder darf ich so sein, wie ich bin?
Gehöre ich dazu? Bin ich also ein Teil meiner Gemeinschaft, spiele ich eine Rolle.
Kinder stellen mit ihrem Verhalten permanent diese drei Fragen: nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Anerkennung. Aus den Antworten weben sie sich etwas, das Renz-Polster ein Gefühl von Heimat nennt: Hier ist es okay, ich bin okay und ich komme nicht in Not.
Menschen, die mit dem Gefühl aufwachsen, wertvoll und sicher zu sein, werden selbstsicher. Sie können später auch andere Menschen und die Welt entsprechend wohlwollend betrachten. Die gelungenen Bindungen, die in der Kindheit und Jugend aufgebaut werden, sind deshalb Resilienz-Faktoren. Sie helfen, mit dem Leben klar zu kommen und machen widerstandsfähiger gegen die Stürme des Lebens, auch in Zeiten von Corona.
Kinder, die das Gefühl von Heimat nicht erleben durften, haben es schwerer sich zu finden und zu behaupten. Aber das heißt nicht, dass sie das nicht schaffen, und es heißt auch nicht, dass sie nicht ein gutes Leben finden können. Sie bleiben aber oft verletzlicher, manche auch ängstlicher. Und während manche dann doch ihre Sicherheit finden, weil sie im Leben und mit anderen Menschen gute Erfahrungen machen, bleiben andere an der Suche nach Ersatz hängen. Manchmal an Drogen, manchmal an Sekten, manchmal an politischen Ideologien, die dann das Vakuum füllen, das sich nie schließen durfte: Dann bin ich sicher, weil ich mich abgrenze, weil ich einen Führer habe oder eine Mauer baue. Ich bin anerkannt, weil ich Deutscher bin oder ein Weißer. Und ich bin okay, weil ich überlegen bin.
Das Erziehungsklima von heute schafft entweder Sicherheit oder Verletzlichkeit. Und damit hat es auch eine politische Komponente denn es bestimmt auch das gesellschaftliche Klima von morgen!