Sehr geehrte Frau Sylvia Wählt,

als ich noch ein Bub war, vor etwa 60 Jahren, sagte mein Vater immer: „Bernd, mach doch mal nen Witz!“, wenn ich so die eine oder andere altkluge Bemerkung von mir gab, er aber gerade von der Arbeit nach Hause gekommen war und einfach seine Ruhe haben wollte.

In diese schönen Zeiten fühlte ich mich doch glatt zurückversetzt, als ich Ihren freundlich gehaltenen Leserbrief und Ihren Rat las: Ein „tägliches ‚Lachen gegen den Lagerkoller’, davon profitieren die Menschen sicherlich mehr“ als von meinem „Geschreibsel“. (Natürlich erkenne ich an Ihrer so gelungenen Wortwahl, was Sie von meinen Kommentaren halten. Danke!)  

Ich bin also wieder in den 1960er-Jahren angekommen.

Allerdings wiederholt sich kaum die Geschichte. Ich bin älter geworden, und die zeitlichen Umstände sind andere. Ich glaube nicht, dass mein Vater unter den momentanen Umständen von mir einen Witz erwartet hätte. Er war nämlich sehr an Politik und Fragen der Demokratie interessiert. Dieses löbliche Interesse habe ich wohl von ihm geerbt. Und er wäre ganz sicher ebenso wie ich von dem, was gerade mit unserer Demokratie geschieht, betroffen gewesen.

Ja, die Menschen brauchen „Mut, Hoffnung und Zuversicht“. Aber erstens erhalten Sie ja weiß Gott genug über die in Sachen Sedierung der Bürger kompetenteren Massenmedien. Und von den lokalen, regionalen und bundesdeutschen Autoritäten aus Politik, Kultur und Kirchen werden Sie ja ebenfalls zur Genüge ermutigt und mit Hoffnung und Zuversicht versehen. Da bedarf es wirklich nicht meines Geschreibsels.

Mein Demokratieverständnis besteht nun einmal unter anderem darin, mit ein wenig Geschreibsel gegen den Mainstream anzugehen, weil man aus Erfahrung weiß, dass eine Meinung, ob wissenschaftlicher oder auch politischer Natur, wenn sie nicht andauernd infrage gestellt wird, leicht dazu neigt, dass sie verhärtet und der Demokratie schadet. Demokratie braucht den wachen Verstand der Bürger.

Noch einen Punkt: Wenn Sie Mut, Hoffnung und Zuversicht einfordern, dann erwarten Sie anscheinend, dass Ihnen diese seelischen Beruhigungspillen von anderen Menschen verabreicht werden. Sie treten also automatisch in ein Überordungs-Unterordnungs-Verhältnis ein. Sie akzeptieren andere als moralische Autoritäten, einfach nur, weil sie als Experten oder Leitpersonen moralischer Art auftreten. Das widerspricht meinem Demokratieverständnis. Auch diese Leitpersonen sind Menschen mit allen Macken, die der Mensch nun mal so hat. Und sie treten als Autoritäten auf, weil man sie auf ihre Positionen gesetzt hat! Dieses Setzen ging oft gut, leider auch oft schief, wie die Geschichte lehrt! Es ist also die Pflicht des Bürgers, immer den Autoritäten ordentlich auf die Finger zu schauen und zu klopfen. Daher mein Geschreibsel!

Bernd Lukoschik