Leserbrief – Stadtverordnete und Stadtverwaltung ignorieren die Fakten

In der am vergangenen Donnerstag (7.11.2019) stattgefundenen Stadtverordnetenversammlung wurde deutlich, dass die demografische Entwicklung in unserer Gesellschaft durch die Fraktionen der CDU, SPD und Teilen der Grünen für Viernheim keine Beachtung findet.

Seit mehr als 10 Jahren bin ich Mitglied der Gesellschaft für Alterszahnheilkunde, seit über 10 Jahren ist immer wieder der Mangel an adäquaten Pflegeplätzen oder auch die ungenügende Ausbildung des Pflegepersonals nicht nur im Bereich der Zahn- und Mundhygiene, sondern besonders auch im Bereich der Demenz ein Thema.

Deshalb finde ich es beschämend, gedankenlos und unsachlich, wie hier über die Zukunft unserer betagten Bürger diskutiert wird.

Nach Gesprächen mit Mitgliedern der CDU und den Grünen kristallisierte sich schnell der wahre Grund zur Ablehnung des Antrags der UBV über eine Aktualisierung des Bebauungsplans heraus.

Es soll  mit allen Mitteln eine Konkurrenz zum Forum der Senioren verhindert werden. Man hat Angst, dass die Stadtkasse belastet wird, wenn die Rentabilität des Forums durch einen Mitbewerber fällt. Eine Diskussion mit der SPD war und ist sinnlos, weil in dieser Fraktion grundsätzlich das Wort des Herrn gilt.

Erinnern wir uns: Vor nicht allzu langer Zeit wäre es kein Problem gewesen, dem TSV einen Kunstrasenplatz zu finanzieren. Geht es aber um die alten und pflegebedürftigen Menschen in unserer Stadt, will man für diese nicht einmal die Bemühungen eines Investors akzeptieren, obwohl sie über Jahrzehnte zum Wohle Viernheims beigetragen haben. Ich empfinde das als unwürdig und verwerflich für eine Stadt wie Viernheim.

Mehr als einen Blumenstrauß zum 90. Geburtstag ist Herr Baaß offensichtlich nicht bereit zu investieren.

Wenn wir das Stadtentwicklungskonzept 2030 von Georg Consulting ansehen, ist in der Zusammenfassung wiederholt dokumentiert, dass „eine relativ starke Alterung durch den Anstieg der Zahl älterer Menschen und auch der Hochbetagten, zunimmt. Damit geht laut Konzept „eine notwendige Anpassung an die wachsende ältere Bevölkerung (Pflegeplätze, Betreuung, medizinische Versorgung)“ einher.

Schauen wir uns die Fortschreibung des Altenhilfeplans 2017 der Fachstelle Senioren/Soziales des Kreises Bergstraßen „Leben im Alter“ von Frau Martina Zwecker an, so ist Stand Oktober 2016 für Viernheim ein Fehlbedarf von 256 Plätzen beschrieben.

Im Pflegeheim-Atlas Deutschland von 2018 wird deutlich gemacht, dass durch den demografischen Wandel die Zahl der Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen zunehmen wird und die Zahl von Pflegeplätzen stetig ansteigt.

Viernheim hat ja bereits beim Kindergarten viel zu spät auf die demografische Entwicklung reagiert. Deshalb darf man nicht übersehen, dass auch unsere Stadt immer älter wird und in einer alternden Gesellschaft wächst der Bedarf an Betreuungs- und Pflegeangeboten mit wachsen muss.

Diesem Bedarf wird das Forum der Senioren alleine mittelfristig nicht gerecht werden können. Und auch wenn zurzeit einige Plätze nicht belegt sind, ist dies eine Momentaufnahme und sicherlich kein Dauerzustand. Denn auch im Forum werden bei einer ausreichenden Auslastung Anfragen abgelehnt werden.

Selbst mit einer momentan befriedigend scheinenden Situation, dass das Forum ausreichende Pflegeplätze und Plätze für betreutes Wohnen bereitstellen kann, führt das Haus Pamina eine Warteliste für betreutes Wohnen.

Der Bedarf an Pflegeplätzen in Viernheim ist also weit höher als das Angebot und viele Viernheimer müssen ihre pflegebedürftigen Angehörigen in entfernten Einrichtungen unterbringen.

Warum soll der Versuch scheitern, in Viernheim eine weitere Seniorenresidenz mit Pflegeplätzen zu etablieren? Aus Sorge um Konkurrenz?

Natürlich bedeutet ein neues Pflegeheim Wettbewerb. Aber ich dachte, wir leben  in einer freien und sozialen Marktwirtschaft und nicht wie es in Viernheim jetzt exerziert wird, in einer offenkundig wahrnehmbaren Planwirtschaft. Ich dachte diese Form hätten wir längst hinter uns gelassen.

Das immer wieder, seinerzeit schon von Herrn Bolze, vorgetragene Argument, man wolle durch die Veränderungssperre die Ansiedlung von Sexshops und Vergnügungsgewerbe verhindern, ist im Hinblick auf den wirklichen Verhinderungsgrund, unhaltbar.

Ein weiteres Argument, welches gegen das neue Seniorenheim vorgetragen wird, bezieht sich auf die Nähe zur Umgehungsstraße. Es bestünde Lärmbelästigung für die Bewohner und die Umgebung sei für Senioren ungeeignet, weil der Ort zu weit weg vom Stadtzentrum sei. Meiner Ansicht nach alles an den Haaren herbeigezogen.

Es ist nicht Aufgabe der Viernheimer Stadtverwaltung das zu beurteilen, dies ist Aufgabe des Kreisbauamtes.

Der Standort ist wohl sehr gut geeignet. Gut zu erreichen, genug Raum und Grünflächen für Spaziergänge, es gibt ein Ärztehaus, eine Apotheke, eine Physiotherapie- Praxis und ein Rehasportzentrum, Einkaufsmöglichkeiten, OEG Anbindung, ein Kindergarten und Schulen für die Angestellten in der Nähe.

Viernheim als zweitgrößte Stadt im südlichen Kreis Bergstraße kann es sich aus meiner Sicht nicht leisten, auf ein weiteres Seniorenheim zu verzichten. 

Wir sind eine zukunftsweisende Umweltstadt und sind in vielen Bereichen extrem gut organisiert. Viernheim unterstützt viele Vereine und Selbsthilfegruppen und gibt sich sehr bürgernah.

Mit einer Absage an das Projekt „Seniorenheim Walter Gropius Allee“, durch den im Antrag vorliegenden Bebauungsplan und die Verlängerung der Veränderungssperre, macht die Stadt allerdings einen großen Schritt rückwärts, entgegen jedweder Vernunft und demografischer Statistik.

Unsere Bürgerinnen und Bürger sollten die Möglichkeit haben in einer mittelgroßen Stadt wie Viernheim am Ort betreut zu werden, wenn das nötig ist und sie sollten  Wahlmöglichkeiten haben. Diese Wahlmöglichkeit wird den Bürgern durch die Verhinderung eines zusätzlichen Pflegeheims genommen. Das darf nicht sein!

Mit welcher guten Begründung können wir Ehepartner oder Angehörige nach Weinheim, Mannheim oder in den Odenwald schicken, um ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu besuchen, wenn es auch hier am Ort mehrere  Möglichkeiten zur Betreuung gäbe?

Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, eine neue Einrichtung als Ergänzung und Bereicherung, nicht als Konkurrenz zu sehen.

Natürlich hat das Forum der Senioren in der Innenstadt nahe dem Krankenhaus und dem Hospiz seine langjährige Berechtigung und ist existenziell wichtig für die Stadt.

Doch den Bedarf für die nächsten Jahre wird das Forum alleine nicht decken können.

Ich frage mich, woher kommt also die Ablehnung bei einem großen Teil der Stadtverordneten gegen so ein Vorhaben? Geht es hier nur um die Angst, dass die Rentabilität des Forums der Senioren in Gefahr gerät? Sind Sie blind für die Tatsachen?

Auch das Forum wird auf Dauer nur bestehen, wenn sich auch diese Institution  modernisiert und sich im Bereich der Pflege, insbesondere im Hinblick auf die Zunahme von Demenz-Patienten weiterentwickelt. Dazu zähle ich auch und insbesonder die fachliche, pädagogische und finanzielle Entwicklung des Personals. Sonst werden alle Bemühungen scheitern, unsere pflegebedürftigen Senioren auch weiterhin adäquat und würdig zu versorgen.

Es mag für den Einen oder Andern unbequem sein, mutig eine positive Entscheidung in dieser Angelegenheit herbeizuführen, aber eine weitere Seniorenpflegestätte ist eine richtige und zukunftsweisende Einrichtung für Viernheim und seine Bürger.

Wir alle sollten uns in die Situation Betroffener einfühlen und die sinnvolle Neuausrichtung in der Seniorenbetreuung in unserer Stadt mittragen. Wir sollten nicht nur die Probleme, sondern die vielen positiven Aspekte sehen.

 

Dr. Henrik Stülpner