Wilfried und Astrid Brüning sprechen auf Einladung des AWO Familienzentrums Kirschenstraße über Kinder im medialen Zeitalter

Foto: AWO
Foto: AWO

Viernheim (AWO Familienzentrum)Di­gi­tale Me­dien sind aus dem heu­ti­gen Le­ben nicht mehr weg­zu­den­ken. Doch ein ü­ber­mäßi­ger Me­dien­kon­sum kann sich ne­ga­tiv auf die Ent­wick­lung von Kin­dern aus­wir­ken. Da­her plä­diert der Me­di­en­päd­agoge Wil­fried Brü­ning für einen be­wuss­ten Um­gang mit und eine be­grenzte Nut­zung von di­gi­ta­ler Tech­nik. Ge­mein­sam mit Ehe­frau Astrid ge­stal­tete er den The­men­abend „­Zwi­schen zwei Wel­ten – Kin­der im me­dia­len Zeit­al­ter“ im Treff im Bahnhof (TiB).

„Wir sind nicht ge­gen das Netz oder die Neuen Me­dien„, machte Wil­fried Brü­ning gleich zu Be­ginn klar. Es gehe längst nicht mehr dar­um, dafür oder da­ge­gen zu sein:„Es gibt kein Le­ben mehr ohne di­gi­tale Me­dien.“ Al­ler­dings müsse der Um­gang mit ih­nen ge­stal­tet wer­den. Die Ba­sis für einen er­folg­rei­chen Um­gang mit di­gi­ta­len Me­dien sieht Brü­ning in der rea­len Welt: „Nur wer le­benstüch­tig ist, kann später auch me­dientüch­tig sein.“

Mit ei­nem ebenso sim­plen wie tref­fen­den Bei­spiel macht er den Un­ter­schied zwi­schen rea­lem Er­leb­nis und Er­le­ben ü­ber den Bild­schirm deut­lich. Dazu lässt er „­Lu­kas“ aus dem Pu­bli­kum eine Zi­trone er­for­schen. Gleich­zei­tig er­le­ben die ü­b­ri­gen Gäste im ausverkauften TiB das ge­filmte Ge­sche­hen ü­ber eine Lein­wand mit. Schnell wird deut­lich, dass beim rea­len Er­leb­nis alle fünf Sinne – Se­hen, Tas­ten, Rie­chen, Schme­cken und so­gar Hören – an dem Pro­zess be­tei­ligt sind. Ganz an­ders beim Kon­sum ü­ber den Bild­schirm, wo mit dem Se­hen und dem Hören ge­rade ein­mal zwei Sinne an­ge­spro­chen wer­den. „Und die auch nur zu etwa 20 Pro­zent“, macht Wil­fried Brü­ning dar­auf auf­merk­sam, dass sich die Wahr­neh­mung hier nur noch auf eine Rich­tung, hin zum Bild­schirm, kon­zen­trie­re. „Un­sere Neu­ro­nen wol­len ar­bei­ten“, macht er auf die Er­kennt­nisse der Hirn­for­schung auf­merk­sam. Diese wür­den aber beim Me­dien­kon­sum kaum bis gar nicht an­ge­regt – mit der Fol­ge, dass sie ver­küm­mern oder ab­ster­ben. „Die kom­men dann nicht wie­der­.“ Das an­schau­li­che Bei­spiel mit der Zi­trone ging noch wei­ter: Brü­ning lässt die Sinne und ihre Ver­knüp­fung durch Spann­gurte dar­stel­len. Die Zi­trone lässt sich auf dem Netz aus fünf Sin­nen ganz ein­fach auf­le­gen –„spei­chern“–, während bei dem Bild­schirm­kon­su­men­ten mit nur zwei ein­ge­schal­te­ten Sin­nen keine Chance be­steht, die Zi­trone dar­auf ab­zu­le­gen. „Un­ser Ge­hirn ar­bei­tet wie eine Zu­sam­men­hang-Such­ma­schi­ne“, er­klärte Wil­fried Brü­ning.

Die Neu­ro­nen darin spei­chern In­for­ma­tio­nen nicht nur, son­dern ver­net­zen ihr Wis­sen in ei­nem „­Netz­werk der Sin­ne“. Beim Kon­sum ü­ber den Bild­schirm wer­den da­bei aber drei Sinne re­gel­recht ab­ge­schal­tet.„Ab­schal­ten“, so Brü­ning, werde häu­fig als Mo­ti­va­tion beim Fern­se­hen ge­nannt. Und ge­nau das sei es auch – al­ler­dings nicht so, wie es der Kon­su­ment even­tu­ell wahr­neh­me. „­Fern­se­hen ist die Tätig­keit, bei der Ihr Kör­per die we­nigste Ener­gie ver­braucht“, so der Mo­de­ra­tor wei­ter. Kin­dern solle der Um­gang mit di­gi­ta­len Me­dien nicht un­ter­sagt wer­den, son­dern er solle be­grenzt wer­den. Da­bei sei es wich­tig, di­gi­tale Me­dien im Zu­sam­men­hang mit der rea­len Welt krea­tiv zu nut­zen. Als Bei­spiele führt Brü­ning das Fo­to­gra­fie­ren und Her­stel­len ei­nes Fo­to­bu­ches oder das Fil­men und Schnei­den von Vi­deos an. Com­pu­ter­spiele da­ge­gen nutz­ten das kör­perei­gene Be­loh­nungs­sys­tem gna­den­los aus. Die in der vir­tu­el­len Welt er­ziel­ten, leich­ten Er­folge führ­ten zu ei­nem in der Fre­quenz im­mer wei­ter stei­gen­den Aus­stoß des so ge­nann­ten „Glücks­hor­mons“ Do­pa­min. Des­halb sei es wich­tig, auf die vir­tu­el­len Er­folge der Kin­der ent­spre­chend zu rea­gie­ren, wenn diese ü­ber das Er­rei­chen des 8. Le­vel schier aus dem Häu­schen ge­ra­ten. „­Fern­ge­steu­erte Un­ter­ho­sen“, wird Brü­ning dras­tisch. Wich­tig sei, ge­genü­ber den Kin­dern durch­aus den Er­folg zu wür­di­gen, aber klar zu ma­chen, „es ist nur be­dingt Dein Er­fol­g“. Die­ser sei gar nicht mög­lich ge­we­sen, wenn nicht ein Pro­gram­mie­rer den Weg vor­ge­ge­ben hät­te. Ganz an­ders als bei den, durch­aus mit An­stren­gung und Ge­duld er­lang­ten Er­fol­gen in der Rea­lität, zum Bei­spiel beim Lang­lauf oder To­ren im Fuß­ball­spiel. Auf dem rea­len Platz.

Für seine Eingangsthese hatte Brüning kompetente Referenzen. So würden Eltern im Silicon Valley, also der amerikanischen Herzkammer des digitalen Fortschritts, ihre Kinder in der Regel auf Waldorf-Schulen schicken, wo die sinnliche und nicht die virtuelle Wahrnehmung im Mittelpunkt steht. Menschen wie Bill Gates (Microsoft) oder der verstorbene Steve Jobs (Apple) hätten ihren Kindern nicht mal den Besitz eines Smartphones erlaubt, geschweige denn die Nutzung von Spielen, die ihre milliardenschweren Konzerne entwickeln.

 Wie Jobs bei seinen Kindern plädiert auch Brüning für eine kontrollierte Bildschirmmedienzeit. „Wer begrenzt, macht alles richtig“, so der Referent, der als Vater theatralisch zeigte, dass er wohl weiß, mit welchen Auseinandersetzungen das verbunden sein kann. Aber dies sei die beste Voraussetzung, im „4.0-Zeitalter“ zu bestehen und Herr oder Frau über digitale Medien zu sein und sich nicht in ihnen zu verlieren. Verständlich sei, wie schwierig das falle, denn es fehle noch an einer klaren Haltung, einem Konsens zur Begrenzung in der Gesellschaft. „Sie und ich gehören zu den ersten Eltern, die das machen sollen.“ Eltern aber, die stolz rühmten, in welch jungem Alter ihre Kinder schon mit dem Smartphone umgehen können, bescheinigte er: „Zweijährige mit Smartphone bekommen Wisch-Kompetenz, sonst nichts“.

Immer wieder machte das Referenten-Paar – auch humorvoll und unter Einbeziehung der Anwesenden – anschaulich deutlich, welche Gefahren die unkontrollierte Mediennutzung birgt, wie sie die Konzentrationsfähigkeit senkt und welche natürlichen Suchtmechanismen des Menschen beispielsweise in Gang gesetzt werden können, die gerade Kindern in ihrer Entwicklung Schäden zufügen. „Nein, ich kaufe dir kein Nintendo, aber eine Flasche Whiskey kannst du haben“, machte Brüning drastisch deutlich, dass Videospiele mindestens ebenso große Suchtgefahr bergen wie der Alkoholkonsum. Virtuelle und reale Lernerfolge könne ein Kind nicht unterscheiden; das sei der Grund für Kategorisierungen in leichte, mittlere und schwierige Computer-Spiele: „Jeder wird belohnt.“

Bei aller Warnung vor unkontrolliertem Medienkonsum des kleinen und jungen Nachwuchses – ums Verteufeln ging es den Beiden nicht. Die Referenten erinnerten vielmehr unter der Devise Begrenzen und Erlauben an die positiven Aspekte neuer Medien wie Hörspiele, Musik, der Recherche im Internet oder auch, um Kreativität zu fördern. „Wenn das Kind als Paparazzi mit der Kamera 500 Bilder von Omas Geburtstag macht, wird die Medienkompetenz geschult“, warb Astrid Brüning dafür, Kindern neue Medien als ein Werkzeug zugänglich und begreifbar zu machen.