Weinheim: „Weil Erinnern etwas bewegen kann“ – Oberbürgermeister Manuel Just gedachte am Mahnmal den Opfern der Nazizeit und der Pogromnacht und stellte aktuelle Bezüge her
Weinheim(Stadt Weinheim) – „Wir lernen aus der Erfahrung, dass die Menschen nichts aus Erfahrung lernen“. Diese Worte von George Bernard Shaw, so Weinheims Oberbürgermeister Manuel Just bei seinem Gedenken zur Pogromnacht des Jahres 1938 am Donnerstagabend am Mahnmal im Stadtgarten, haben in unserer Gegenwart anscheinend leider eine sehr erschreckende und ernüchternde Realität. Der OB nutzte das historische Datum, als in Deutschland – auch in Weinheim am 10. November 1938 – die Synagogen brannten, um Bezüge zur aktuellen weltpolitischen Lage herzustellen.
„Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und seiner Folgen“, so der OB, „hat unser Gedenken an die Reichspogromnacht, an die Opfer des nationalsozialistischen Regimes und aller Opfer von Gewalt Krieg und Verfolgung nochmals eine andere Bedeutung erhalten. Wir sind in Gedanken bei den Menschen in der Ukraine und bei den Menschen, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland in andere Länder geflohen sind“.
In vielen Ländern, so Manuel Just, spüre man die Tendenz zu autokratischen Systemen, extreme Organisationen erleben einen Zulauf. Sie profitieren von den derzeitigen Krisen. Der OB appellierte: „So sind wir aufgerufen, die Vergangenheit nicht zu vergessen und für das Gute zu kämpfen.“ Daher sei er im Gegensatz zu George Bernhard Shaw der Überzeugung, „dass Erinnern etwas bewirken kann“.
Staat und Gesellschaft müssten wachsam bleiben und bürgerschaftliches Engagement fördern und vorleben. Ziel müsse es sein, Menschen vor Augen zu führen, dass Intoleranz, Rassismus, die Einschränkung von Rechten, aber auch der innerliche Rückzug immer zum Schlimmsten führen: zum Leid und zum Tod von unschuldigen Menschen.
Just erinnerte daran, dass die Stadt seit vielen Jahren am Jahrestag der Reichspogromnacht zum Gedenken einlädt. Auch Weinheimer Bürger zerstörten die Synagoge in der Ehret-Straße, sei es aus Ideologie, sei es aus Falschinformation oder sei es aus Instrumentalisierung oder Manipulation heraus, so Just.
Eine weitere historische Dimension nehme das Gedenken im Jahr 2022 ein, weil die so genannte „Judenfrage“ vor 80 Jahren in der nationalsozialistischen Weltanschauung noch mehr eine zentrale Bedeutung bekam. Auf der Wannseekonferenz im Jahr 1942 wurde auf menschenverachtende Weise die so genannte „Endlösung“ besprochen.
Just erklärte: „Mit Trauer und mit Scham blicken wir heute auf das zurück, was in unserem Land geschehen ist. Nicht nur Jüdinnen und Juden wurden vom NS-Regime aggressiv und brutal verfolgt, sondern auch Millionen anderer Menschen.“
Jeder Mensch müsse seiner Verantwortung für ein humanes, friedvolles und von Respekt getragenes Zusammenleben dadurch gerecht werden, indem er seinen Mitmenschen – allen Mitmenschen – mit Achtung begegnet und deren Würde respektiert, im Alltag und bei alltäglichen Kontakten. Sein Appell: „Dulden wir kein menschenverachtendes Verhalten gegenüber wem auch immer. Auch wenn in solchen Fällen unsere Zivilcourage besonders gefordert sein mag: Wir müssen bereit sein, sie zu erbringen.“
Auf Laternen hatte die Stadt zur Gedenkstunde die Namen der Jüdinnen und Juden verewigt, für die in Weinheim Stolpersteine verlegt sind.