Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner gratulierte Zeliha und Ali Mert zur Gnadenhochzeit – Elf Enkel und neun Urenkel

Foto: Stadt Weinheim

Weinheim (Stadt Weinheim) – Sein Händedruck ist fest, seine Stimme laut. Wenn Ali Mert etwas zu sagen hat, steht er dabei meistens auf – kerzengerade wie ein Zinnsoldat. Die Pudelmütze auf seinem Kopf scheint festgewachsen zu sein. Der Mann ist eine Persönlichkeit – und sein Leben, sowie jenes seiner Familie spiegelt ein spannendes Kapitel bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte; die Geschichte der Gastarbeiter. 1964 landete am Düsseldorfer Flughafen eine Maschine aus Antalya. Die Deutschen mussten damals im Atlas nachschauen, wo das liegt. Im Flieger saß der junge Türke Ali Mert, damals 34 Jahre alt, gelernter Schneider mit Familie in Kayseri, seiner Heimatstadt.

Der Lohn als Herrenschneider reichte nicht mehr aus, um Frau und Kinder zu ernähren. In Deutschland gab es mehr Arbeit als Männer, also brach Ali – wie so viele seiner Landsleute – auf ins Wirtschaftswunderland des Westens. Bei Thyssen im Rheinland war ein Platz am Fließband frei, harte Arbeit für den Mann, der die filigrane Schneidernadel beherrschte. Aber er hielt durch. Die ersten Jahre bewohnte Ali Mert ein Zimmer mit anderen Gastarbeitern; den Lohn schickte er nach Hause in die Türkei, wo sich seine Frau Zeliha um die vier Kinder kümmerte. Die beiden hatten früh geheiratet, 1948. Ali war 18, Zeliha 16. Zwei Jahre nach der Hochzeit war das erste Kind zur Welt gekommen.

1970 zog Mert in Deutschland vom Rheinland über Herne und Frankfurt nach Weinheim; ein Schwager arbeitete bei der Firma Freudenberg. „Gute Arbeit, gute Firma“, empfahl er. In Weinheim stand Ali an einer Maschine, die Noppenboden herstellte. Er kannte den Boden vom Flughafen; einmal im Jahr besuchte der Mann für vier Wochen seine Familie.

In Weinheim wollte er bleiben; da war er fast 40 Jahre alt. Es war Zeit, die Familie nachzuholen. Auch das war anfangs nicht leicht. Für Zeliha war alles neu und fremd. Die Kinder fanden sich schneller zurecht. Sie lernten bald Deutsch. Bald wechselte Ali wieder den Arbeitsplatz, bei Braas in Hemsbach sollte er bleiben bis zur Rente im Jahr 1993.

„Ich liebe Deutschland“, erklärte er am Samstag dem Weinheimer Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner, der zur Gnadenhochzeit gratulierte und eine Urkunde des Ministerpräsidenten überreichte. Das Fest der Gnadenhochzeit ist äußerst selten: 70 Jahre! Das setzt eine stabile Ehe und ein langes Leben voraus. Ali Mert ist mit seinen 88 Jahren auch der älteste in Weinheim lebende Türke. Im Sommer stehen die beiden alten Leute täglich im Gartengrundstück in Sulzbach, wo sie eigenes Gemüse für die Familie anbauen.

Eine stabile Ehe und eine lang anhaltende Fitness: Die Merts haben beides. Fast die komplette Familie lebt in Weinheim. Das Jubelpaar wohnt in der Nordstadt im gemeinsamen Haus mit Mehmet, dem jüngsten Sohn, und Hatice, seiner Frau. Beide sind in Weinheim gut integrierte Menschen und praktizierende Moslems. Mehmet Mert war eine zeitlang Vorsitzender der Mevlana Moschee, Hatice leitet dort noch einen Korankreis für junge Frauen. Drei der vier Kinder aus der Gnaden-Ehe leben in Weinheim. Ali und Zeliha müssen eine Weile nachdenken und an den Fingern abzählen, wie viele Enkel und Urenkel ihnen folgen: es sind elf Enkel und neun Urenkel. Im Haus in der Nordstadt wohnen vier Generationen unter einem Dach. Die Gastarbeiter der ersten Stunde haben ihrem Nachwuchs Fleiß und Klugheit mit auf den Weg gegeben. Schon die Enkelkinder konnten das Gymnasium besuchen und Abitur machen. Sie sprechen Deutsch so gut wie Türkisch. Nur wenige Türken bleiben im Alter in Deutschland, Ali und Zeliha wollen es so, weil sie bei ihrer Familie bleiben wollen. Das ist jetzt ihre Heimat.

Am Gnadentag gab es ein großes Fest im Mert-Haus in der Johannisstraße. Die Frauen kochten und die Männer erzählten von früher und heute. Und Ali Mert mit seinen 70 Ehe- und 88 Lebensjahren stand immer wieder auf, die Pudelmütze auf dem Kopf, die Stimme laut, und erzählte davon, wie das damals war in seinem langen und erfüllten Leben.