Vortragsreihe des AWO Familienzentrums Kirschenstraße fortgesetzt

Foto: AWO Familienzentrum Kirschenstraße
Foto: AWO Familienzentrum Kirschenstraße

Viernheim (AWO Familienzentrum Kirschenstraße) – In der, nun schon sehr erfolgreichen Vortragsreihe des AWO Familienzentrums Kirschenstraße konnte mit Herrn Professor Dr. Bauer ein weiterer, im In- und Ausland bekannter, Gast für den 06. März gefunden werden. Das Familienzentrum engagiert sich bereits seit Jahren Vortrags- und Diskussionsabende zu aktuellen pädagogischen Themen anzubieten. „Dabei“, so der Leiter des Familienzentrums, Herr Sebert, „beweise die zahlreiche Besucherzahl, darunter Eltern, Fachkräfte aus dem gesamten Rhein-Neckar-Kreis und Odenwald, Dozenten verschiedener Forschungsstellen und Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Heppenheim, dass man offensichtlich „ein Gespür für gefragte Themen und ein glückliches Händchen für die jeweiligen Gastredner“ habe.

Professor Dr. Bauer ist als Neurowissenschaftler, Facharzt (Internist, Psychiater) und Psychotherapeut ein gefragter Vortragsredner. In zahlreichen Büchern beschäftigt er sich mit neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung und zeigt die Verbindungen zu pädagogischen Handlungen auf. Am gestrigen Abend rankte sich sein Vortrag um die Frage: Was können Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräfte von der Hirnforschung lernen, um Kinder und Jugendliche zu verstehen, zu erreichen und zu motivieren?

220 interessierte Zuhörer im restlos ausverkauften kleinen Saal des Bürgerhauses Viernheim erwarteten nach der Begrüßung durch Herrn Tarchanow als Vertreter der AWO Viernheim und der anschließenden Einleitung durch Herrn Sebert, Leitung des AWO Familienzentrums Kirschenstraße, mit Spannung, Antworten und neue Erkenntnisse.

Professor Dr. Bauer enttäuschte diese Erwartungen nicht. Mithilfe von Schaubildern, lebensnahen Alltagsbeispielen und einer gesunden Portion Humor ging er zunächst auf die Frage ein, wie das Gehirn bei Kindern Motivation entstehen lässt.

Zu den faszinierendsten Aspekten der Hirnforschung der letzten Jahre gehöre die Entdeckung von Nervenzell-Systemen, die es dem Menschen nicht nur ermöglichen, sich in das zu einzufühlen, was andere fühlen, sondern auch Ausstrahlung zu erzeugen, was heißt, umgekehrt auch andere mit dem anstecken zu können, was man selbst fühle. Dieses Nervenzell-System biete Pädagogen weit reichende, oft aber nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten.
Eltern und Pädagogen, die ein Kind oder einen Jugendlichen spüren lassen, dass sie sich bemühen, ihn oder sie zu verstehen, lassen dieses Kind oder diesen Jugendlichen spüren, dass sie ihn in einem tieferen, übertragenen Sinne sehen. In jungen Menschen, die spüren, dass sie von uns gesehen werden, die spüren, dass sie für uns eine Bedeutung haben, ereigne sich etwas Entscheidendes: Kinder und Jugendliche, die gesehen werden, erleben eine Aktivierung ihrer sogenannten Motivationssysteme. Dies alles geschehe ohne bewusstes Zutun. Beim Motivationssystem handele es sich um ein Nervenzell-Netzwerk, das einen Cocktail von Botenstoffen produzieren kann, der jenes Gefühl produziert, das wir Lebensfreude oder Motivation nennen. Das aber bedeutet nun nicht mehr und nicht weniger als: Empathie zu erleben. Und gesehen zu werden, wäre die Voraussetzung dafür, dass Menschen und vor allem junge Menschen Motivation entwickeln können. Einem Kind oder Jugendlichen empathisch entgegenzutreten heiße jedoch nicht, dieses Kind oder diesen Jugendlichen zu verwöhnen, auch nicht, ihm jeden Kaufwunsch zu erfüllen oder jeden Unsinn zu gestatten. Sondern es bedeute, aus einer fürsorglichen Haltung heraus, die wirklichen, auch langfristig richtigen Bedürfnisse des jungen Menschen zu erkennen und das zu tun, was nach besten Wissen und Gewissen seiner Entwicklung dient. Damit, dass sie Eltern und Pädagogen die Möglichkeit zur Empathie eröffne, sei das pädagogische Potential der Spiegelnervenzellen jedoch noch nicht erschöpft.

Nicht nur wir können der Resonanzkörper sein und in uns fühlen, was andere fühlen. Wir hätten umgekehrt auch unsrerseits die Möglichkeit, andere mit unseren eigenen inneren Haltungen oder Gefühlen anzustecken, also andere in Resonanz zu bringen. Wie das? Durch die Sprache und unsere Körpersprache. Mit unserer Sprache oder mit der Sprache unseres Körpers, das wäre allerdings oft viel mehr als uns lieb oder als uns bewusst sei. Einfühlsame Pädagogen spüren beim Kind oder bei Jugendlichen oft Dinge, die das Kind oder der Jugendliche selbst vielleicht gar nicht zeigen, vielleicht sogar verbergen wollte. Umgekehrt würden Sprache und Körpersprache der Erwachsenen in einem weit größeren Ausmaß auf junge Menschen wirken als uns das lieb oder bewusst ist. Junge Menschen durch das eigene Auftreten in Resonanz zu bringen, sie mit dem anzustecken, was einen selbst beseelt, gehöre zum Repertoire eines jeden guten Pädagogen, es sollte auch zum Repertoire von Eltern gehören. Sprache und Körpersprache von Pädagogen können Präsenz ausstrahlen, Interesse am Stoff, Anstrengungsbereitschaft und Leidenschaft wecken. Nicht immer tun sie dies auch. Spiegelungs- und Resonanzvorgänge stünden im Mittelpunkt der pädagogischen Beziehung. Sie sind nicht nur der Kern der pädagogischen, sondern jeder zwischenmenschlichen Beziehung.

Kinder und Jugendliche wären aus neurobiologischer Sicht auf soziale Akzeptanz, auf Zuwendung und Zugehörigkeit ausgerichtete Wesen. Immer mehr junge Menschen treibe dieses Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit jedoch in die virtuellen Räume des Internets, was per se nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten müsse, was allerdings auch erkläre, warum ein nicht geringer Teil von Jugendlichen inzwischen suchtartig an den Bildschirm gebunden ist. Prof. Dr. Bauer appellierte in diesem Zusammenhang an die Eltern ein waches Auge darauf zu haben, was und wie häufig ihre Kinder z. B. am Computer spielen und wie stark sie sich auf die sozialen Netzwerke, die „Freundschaften und soziales Miteinander vorgaukeln“, einlassen. „Das größte Geschenk, was sie ihren Kindern machen können ist Zeit“ lautete die Botschaft, die sich durch den ganzen Abend zog, „um soziale Ausgrenzung und Fehlentwicklungen zu vermeiden und den Kindern und Jugendlichen das zu geben, was ihnen wirklich wichtig ist.“

Interessierte konnten in der Pause in der großen Buchauswahl, die mit freundlicher Unterstützung durch die Buchhandlung „Schwarz auf Weiß“ aus Viernheim zur Verfügung gestellt wurde, stöbern und ihre gekauften Bücher persönlich signieren lassen. Desweiteren fanden an vielen Ecken, bei einer Erfrischung, die vom Restaurant „Galicia“ bereitgestellt war, lebhafte Diskussionen über das gerade Gehörte statt. Nach der Pause wurde dann eine Frage und Diskussionsrunde eingeleitet, die sich sehr mit Fragen der Empathieentwicklung beschäftigte. Zum Abschluß eines sehr informativen und kurzweiligen Abends dankte Herr Sebert Herrn Prof. Dr. Bauer und den zahlreichen Besuchern und wies auf den nächsten Vortragsabend des AWO Familienzentrums Kirschenstrasse am 20. Mai um 19:00 Uhr im TIP hin. Vortragsredner an diesem Abend sei Wilfried Brüning zum Thema: „Kinder und Jugendliche zwischen den Welten“. Der Vorverkauf der Karten starte am Montag den 11.03.2019 über das Familienzentrum. Interessierte seien herzlich eingeladen.