Universitäten Frankfurt und Heidelberg entwickeln gemeinsam mit dem Kreis praktische Ausbildung von Medizinstudierenden weiter

Kreis Bergstraße (KB) – Der Kreis Bergstraße liegt geografisch im Einzugsbereich von gleich zwei renommierten medizinischen Fakultäten und weist gleichzeitig durchaus auch ländliche Strukturen auf. Der Kreis kooperiert daher bereits seit Jahren mit dem Institut beziehungsweise der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung sowohl der Goethe-Universität Frankfurt am Main als auch des Universitätsklinikums Heidelberg, um deren Studierende für eine spätere Niederlassung im Kreis zu interessieren.

 

Aktuell ist im Kreis nun von beiden Universitäten ein weiteres innovatives und zukunftsweisendes Projekt zur ärztlichen Nachwuchsgewinnung sowie Weiterentwicklung der medizinischen Grundversorgung geplant. Die beiden universitären Einrichtungen für Allgemeinmedizin haben eine Absichtserklärung unterzeichnet, die darauf abzielt, gemeinsam die Tätigkeit von Allgemeinmedizinern gezielt zu stärken. Im Einklang mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ der Bundesregierung soll hausärztlicher Nachwuchs dezentral vor Ort aus- und weitergebildet werden. Dabei sollen auch multiprofessionelle Teams einbezogen und neue digitale Technologien genutzt werden.

 

Landrat Engelhardt begrüßt diese Initiative sehr: „Durch unsere Lage als Scharnier genau zwischen zwei bedeutenden deutschen medizinischen Fakultäten ist der Kreis Bergstraße prädestiniert für eine derartige Kooperation. Und wir sind im hessischen Sozialministerium bereits aus der Vergangenheit bestens bekannt als geeigneter Standort für Pilotprojekte und innovative Konzepte – ich darf nur an unsere PauLa erinnern, die hier bei uns als erstes in ganz Hessen gefördert wurde“.

 

Für die Realisierung dieses Projekts sei laut Einschätzung aller Beteiligten das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) Lindenfels hervorragend geeignet. Die Tochtergesellschaft des Kreiskrankenhauses Bergstraße beschäftigt Ärztinnen und Ärzte aus den Fachrichtungen Frauenheilkunde und Allgemeinmedizin und hat großes Interesse daran, Nachwuchsmediziner auf ihrem Weg zu „fertigen Ärztinnen und Ärzten“ zu begleiten, so dass die Idee der beiden Universitäten auch dort auf offene Ohren stieß. „Fakt ist, dass Studierende, die in einer ländlichen Region die allgemeinmedizinische Tätigkeit kennenlernen, eher über eine spätere Niederlassung in einem attraktiven Verbund nachdenken“, ist die Erste Kreisbeigeordnete und Gesundheitsdezernentin Diana Stolz sicher.

 

Auch Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, stellt fest: „Wir wollen die haus- und familienärztliche Versorgung durch die Betonung der praktischen Abschnitte des Medizinstudiums wieder in den Mittelpunkt rücken. Damit kann die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung gerade im ländlichen Raum gezielt weiterentwickelt werden. Für unsere Studierenden, die am Projekt „Landpartie 2.0“ im Landkreis Bergstraße teilnehmen, ist die Zeit in einer Landarztpraxis eine tolle und prägende Erfahrung. Wir stellen ein deutlich gestiegenes Interesse an einer hausärztlichen Tätigkeit im ländlichen Raum fest. Die Zahl der Facharztabschlüsse im Fach Allgemeinmedizin hat sich in Hessen seit 2013 verdoppelt.“ Der Mediziner ist auch Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und sieht den Kreis Bergstraße sowohl geografisch als auch wegen seiner bisher hervorragenden Kooperationsbereitschaft als überaus geeignet für ein solches Leuchtturmprojekt – er sieht den Kreis Bergstraße hier als deutschlandweites Vorbild.

 

„Eine gute Lehre ist eine Grundvoraussetzung, um die Attraktivität und damit das Image der Hausarztmedizin zu verbessern“, konstatiert denn auch Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, kommissarischer Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg. „Wir wollen den Studierenden neben der intensiven Begegnung mit Patienten in ihrer ländlichen Wohnumgebung auch ein Bild von der Hausarztpraxis der Zukunft vermitteln. Diese ist kommunikativ, vernetzt, und nutzt modernste digitale Technologien – quasi als „state of the art“-Praxis und eine Art Labor für neue Konzepte. Um dieses attraktive Berufsbild zu vermitteln, hat zum Beispiel die Landesregierung in Baden-Württemberg zusätzliche Studienplätze für den hausärztlichen Nachwuchs auf dem Lande geschaffen.“

 

Demografischer Wandel, Multimorbidität, die Bedeutungszunahme präventiver Maßnahmen in der Medizin und der Einzug neuer technischer Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie bedingten tiefgreifende Veränderungen im Berufsbild des Allgemeinmediziners. Dazu treten die Wünsche der jungen Medizinergeneration nach gemeinschaftlicher Berufsausübung, angestellter Tätigkeit und Flexibilisierung der Arbeitszeit. Um diesen allgegenwärtigen Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung erfolgreich zu begegnen, bedürfe es neuer Strategien, Modelle, Strukturen und Rahmenbedingungen. Gerade im Gesundheitswesen sei dabei die Zusammenarbeit vieler Akteure notwendig, um entsprechende Weiterentwicklungen anzustoßen und umzusetzen.

 

Der Allgemeinmediziner und Privatdozent am Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Rüdiger Leutgeb, engagiert sich schon lange in der Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte: „Als niedergelassener Hausarzt in den südhessischen Kommunen Rimbach und Fürth und als Lehrbeauftragter der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg unterrichte ich, zusammen mit meiner Kollegin und meinem Kollegen, seit mehr als 20 Jahren Studierende der Medizin in unserer Praxis. Die Studierenden profitieren von dem praxisnahen, patientenorientierten Unterricht in einer 1:1-Betreuung und ich als Hausarzt von dem Austausch mit ihnen. Ich sehe dies auch als meinen Beitrag, für den Beruf des Land- oder Hausarztes zu werben und Studierende für diesen Beruf zu begeistern.“

 

Auch die Geschäftsführerin des MVZ Lindenfels, Miriam Blumenstock, freut sich über die Kooperation der beiden Universitäten: „Wir sind immer offen für Ideen und neue Ansätze um Nachwuchsmediziner für die spannende, anspruchsvolle und vielfältige Tätigkeit als Allgemeinmediziner zu begeistern. Seit Sommer sind wir in unseren neuen Praxisräumen in Lindenfels und bieten so Medizinern die Möglichkeit auch im ländlichen Bereich in einem modernen Arbeitsumfeld als angestellte Ärzte tätig zu werden – auch und gerade in Verknüpfung mit dem Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen als unserem „Nachbarn“ im neuen Domizil hier in Lindenfels, was wir auch für angehende Hausärztinnen und Hausärzte als weiteren wichtigen Pluspunkt in der Aus- und Weiterbildung sehen.“

 

Der Geschäftsführer des Kreiskrankenhauses Bergstraße, Daniel Frische, sieht die Chancen für die Zukunft und ergänzt: „Auch für die Sicherstellung der stationären Versorgung sind die ambulant tätigen Ärzte wesentlich. Unsere medizinische Versorgung ist geprägt durch die Zusammenarbeit und die gemeinsame Versorgung der Menschen. Hierzu braucht es auch in der Zukunft Medizin in ländlichen Regionen.“ Alle Beteiligten haben vereinbart, auf Basis der Absichtserklärung in absehbarer Zeit konkrete Ideen und Schritte zu entwickeln und dabei auch die jeweiligen Ministerien in den benachbarten Bundesländern einzubeziehen.