Viernheim ist nicht gerade gesegnet mit schöner Natur: hier ein Bäumlein, dort ein Bäumlein, hier ein Strauch, eine Hecke, dort welche, und ab und an eine Grün bietende Versickerungsmulde! Nein, brüsten kann sich Viernheim mit Naturnähe beileibe nicht! Insbesondere nicht mit schönen Bäumen.

Umso mehr beeindruckt und beglückt die Platane dort, wo Karl-Marx-Straße und Lampertheimer Straße zusammentreffen und, kurz vor der Einmündung in die Kreuzstraße, eine Art Platz bilden. Diese Platane setzt dem Platz die Krone auf, vermittelt dem Platz fast ein wenig die Atmosphäre einer Piazza. Selten sieht man in einer Stadt einen dermaßen formvollendeten Solitär, groß und stolz und ausladend mit einer prächtigen Krone hoch aufragend. Es ist jedes Mal ein Genuss, wenn man sich, die Karl-Marx-Straße hochspazierend, dieser Platane langsam annähert. Und dann tritt man auf den Platz und steht bewundernd vor dem machtvollen Baum!

Das tat ich heute auch mal wieder. Hatte ich zumindest vor. Als ich dann den Platz betrat, voll freudiger Erwartung, traf mich fast der Schlag! Es ist kaum zu fassen: An der linken Seite des massakrierten Geschöpfs waren einfach Äste, die wohl den zukünftigen Neubau stören würden, abgesägt – einfach so mal abgesägt! Die Platane steht da wie ein halbiertes Ei.

Zugegeben, der Schreck ging nahtlos über in Wut! Mir war schon lange klar, dass Naturliebe, geschweige denn der Respekt vor nicht menschlichen Lebewesen, in Viernheim im Großen und Ganzen nicht sonderlich hoch im Kurs stehen. Aber solch ein Barbarentum – das hatte ich weiß Gott nicht erwartet. Wie kann man ein so schönes Stück Natur nur dermaßen verschandeln!

Ich nehme an, die Stadtverwaltung muss bei solch einem tiefgreifenden Eingriff ins Stadtbild und in die Natur vorab informiert werden und der Planung zustimmen. Umso unbegreiflicher ist es, dass diese barbarische Tat durchgezogen wurde. Hat sich keiner der zuständigen Verwaltungsfachleute darüber informiert, was da ablaufen sollte?

Oder hat sich halt mal wieder unsere allgemeingesellschaftliche Wertehierarchie durchgesetzt? An erster Stelle sind die Bedürfnisse des Straßenverkehrs zu befriedigen, an zweiter Stelle Immobilien hochzuziehen, wo immer gewünscht – und dann kommt lange gar nichts an Werten, und ganz hinten rangiert dann – da war doch noch was? -–der Wunsch des Pflanzenreichs, irgendwo leben zu dürfen.

Als mir dieses Werteschema unserer Gesellschaft wieder bewusst wurde, fielen Schreck und Wut von mir ab und ich latschte resigniert einfach weiter nach Hause.

Bernd Lukoschik