Einmal Politiker, immer Politiker: eben universal kompetent!

Roland Koch, Politiker und Rechtsanwalt, war 1999–2010 Ministerpräsident von Hessen, 2011–2014 Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger und ist seit 2017 Professor of Management Practice an der Frankfurt School of Finance and Management.

Keines seiner bisherigen Tätigkeitsfelder lässt vermuten, dass er mit Pädagogik, Entwicklungspsychologie oder Schule zu tun hatte (außer vielleicht der Umgang mit den eigenen Kindern, was ihn aber nicht zum Fachmannsein qualifiziert!).

Und das Absurde nun: In den Medien darf sich ein solcher Pädagogik-, Entwicklungs- und Schul-Laie quasi als Experte zu der Digitalisierungsepidemie äußern, die nun über unsere Schulen hereinbricht: natürlich im positiven Sinne!

Dabei gibt es doch genug wirklich kompetente Fachleute, Psychiater, Pädagogen, Gehirnforscher, wie Manfred Spitzer etwa, die gar nicht müde werden, vor dem Schuldigitalisierungswahn zu warnen, und um die Seelen der jungen Generation fürchten. Aber ihnen gewährt man nun mal keinen Raum in den Medien, wie man ihn dem Wirtschaftsfachmann und Expolitiker einräumt! Dabei hätte man bei ihnen nicht nur fachlich gut begründete Stellungnahmen vermittelt bekommen – und die sehen verheerend in Bezug auf die Digitalisierung aus –, sondern man hätte auch sicher sein können, dass sie vom Wohl der Kinder und Jugendlichen her motiviert sprechen.

Es ist nahezu sicher, welche Motive einen Rechtsanwalt, Management- und-Finanzexperten treiben, wenn er selbstverständlich äußert, „kluge digitale Lern- und Lehrformate“ seien nötig. Sicher nicht die pädagogische Orientierung und Kenntnisse aus der kindlichen Entwicklungspsychologie. Meine böse Vermutung: Ein Mensch dieser Profession und Karriere kann gar nicht anders, als in den Schülern die zukünftigen Arbeitskräfte – mittendrin vielleicht auch der eine oder andere zukünftige Betriebswirt, Informatiker und Parteipolitiker – zu sehen.

Aber nicht nur zur Pädagogik darf Roland Koch sich äußern. Nein, er geriert sich zudem natürlich als Fachmann in Sachen Einschätzung von Epidemieentwicklungen, wenn er so ganz selbstverständlich, ohne jeden Selbstzweifel im Brustton der Überzeugung bis hin zur kaum erträglichen Arroganz sagt: „Im Herbst kann es nicht einfach so weitergehen wie vor Corona.“

Woher er das alles wohl weiß? Wenn ich bedenke, wie unsicher man selbst in Bezug auf die Einschätzung von Corona und die Zukunft ist! Es ist einfach so: Wenn einer mal Politiker war und anschließend immer nur auf derselben Hochebene des Anordnens und Bestimmens voranfiel, erst Leiter einer Regierung, dann Leiter eines Baukonzerns, dann Leiter eines Lehrstuhls, dann kann er gar nicht anders, als sich in jedem beliebigen Fachgebiet zu Hause und als Leader zu fühlen.

Ist das nun ein Defekt, der zwangsläufig in Politikerkarrieren angelegt ist, oder ein persönlicher?

 

Bernd Lukoschik