Online-Gottesdienste – vorsätzliche (Selbst-)Täuschung des Gläubigen

 

Wenn ich mir einen Western-Klassiker etwa mit John Wayne als dem ewig guten Cowboy ansehe, wie der über die Prärie trabt, und wenn die Kameraeinstellung so raffiniert gewählt ist, als säße statt Wayne der vor der Flimmerkiste hockende Zuschauer selbst auf dem Rappen – dann ist jedem klar, dem Regisseur, John Wayne, sogar mir als Zuschauer, dass nicht ich auf dem Pferd daherbrause. Das ist eine Binsenwahrheit: die Unterscheidung von Sein und Schein!

Und sogar wenn der Männerklub vor der Glotze abhängt und das Wochenendfußballspiel konsumiert, bei Chips und Bier, und wenn sie dabei ihrem Verein zujubeln und ihn anfeuern, dann ist sogar denen klar: Das Fußballspiel findet nicht im Wohnzimmer statt, sie nehmen nicht an dem Spiel teil, sondern müssen leider Kilometer entfernt davon ihre Emotionen ersatzweise angesichts von nur Bildern abreagieren.

Wenn der Gläubige vor seinem Fernseher sitzt und den Gottesdienst anschaut, dann gilt anscheinend diese Binsenwahrheit nicht mehr. Dann bilden sich der Geistliche vor der Kamera und der Gläubige vor seinem Standardmöbel ein, sie feierten gemeinsam einen Gottesdienst oder eine Messe.

So liest man etwa in einer Lokalzeitung, und man könnte solche Lobeshymnen auf die ungeahnten Möglichkeiten von Online für das religiöse Leben in beliebigen Zeitungen nachlesen: „Bei den Online-Gottesdiensten haben die Zuschauer mit der Einblendung die Möglichkeit, die Psalmen mitzubeten und die Lieder mitzusingen. Vor Ort ist das Singen aktuell leider noch nicht erlaubt.“

Wenn der Zuschauer vor dem Fernseher auf seinem Stuhl gemeinsam mit Wayne Reitbewegung vollzieht, würde er als mindestens kindlich zurückgeblieben, als infantil, angesehen werden, wahrscheinlicher aber: als verrückt. Wenn der Gläubige vor dem Fernseher Psalmen und Lieder mitsingt und dabei meint bzw. meinen soll, er nehme quasi reitend an dem Ereignis auf der religiösen Prärie teil, gilt das – seitdem nun Online auf Biegen und Brechen dem Volk als Fortschritt schlechthin vorgemacht wird – als normal, als adäquater Ersatz für die nicht erlaubten Gottesdienste vor Ort. Und nicht nur als Ersatz, sondern als die Entdeckung von neuen Gottesdienstformaten schlechthin.

Einmal abgesehen davon, dass ich es für schamlos halte, dass das obere Kirchenmanagement seinen Gläubigen derart ein jämmerliches Ersatzprodukt als wirklichen Gottesdienst serviert – es ist  

auch würdelos, dass sich die Gläubigen so schändlich behandeln lassen und sich mit dem Surrogat statt des Originals abspeisen lassen, denn, so in der besagten Zeitung: „Online-Gottesdienste erfreuen sich in der Krise zunehmender Beliebtheit.“

 

Bernd Lukoschik