In düsteren Zeiten: Tipps zur Seelenruhe

Hier einige Lebensweisheiten, die so manchen in den gegenwärtigen Zeiten aufrecht halten können. Außerdem sind sie eingängig, weil in schöner Reimform, und damit auch wohl wahr. Denn nach Platon ist ja das Schöne immer schon auch das Wahre und Gute.  

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Ein alter Spruch – umso wahrer. Wenn ich mich nicht tiefer und umfänglicher mit einer Materie beschäftige, dann regen mich die zu entdeckenden Neuigkeiten, Zusammenhänge usw. auch nicht auf. Wenn ich mich darauf eingestellt habe, dass das allabendliche Anschauen der Tagesschau – gar überhöht noch durch den Tagesthemenkonsum – völlig hinreicht, um mir einbilden zu können, ich sei nun informiert und politisch gebildet – dann umschiffe ich reibungslos alle Klippen des Sichaufregens, der Verunsicherung, der Selbstzweifel. Bildung droht nicht. Mut, Zuversicht und Hoffnung werden gestärkt.

Man nähert sich damit vielleicht dem, was die Alten einst Seelenruhe bzw. Ataraxie nannten. Deren Seelenruhe war allerdings noch ruhiger, denn sie hatten noch keine Tagesschau.

Der Spruch gibt also eine blendende Anweisung dafür, nur ja kein politisches Buch zu lesen, nur ja nicht – wenn es denn nun mal das Netz gibt – in den einen oder anderen politischen Internetkanal zu sehen. Die sind zudem als Fakes definiert. Eine Definition derer, die das Sagen haben, die es erleichtert, den Zustand der beruhigenden Unwissenheit am Köcheln zu halten.

Was ich nicht kann, geht mich nichts an

Eine dem ersten Spruch sehr ähnliche Lebensweisheit. Nur kommt man damit von der Ebene des Innenlebens nach draußen, zum Handeln bzw. dazu, nicht handeln zu müssen. Der Spruch ist ein Freibrief und tiefer Rechtfertigungsgrund, um sich zurückzulehnen und andere tun zu lassen.

Und er ist zugleich eine Feststellung und Beschreibung, wie es in unserem Alltag immer schon abläuft. Der Bürger etwa geht alle vier Jahre zur Wahl und gibt seine Stimme ab: Er übereignet mit seinem Kreuzchen seine politische Mitsprache anderen und spricht dann in den folgenden Jahren nicht mehr selbst. Aber eigentlich könnte er das ja, denn Kompetenz zum Politischen, die Fähigkeit zur Mitsprache in Sachen Allgemeinwohl sind seiner Natur als einem sozialen Wesen ja eigen, müssten halt nur entwickelt und gepflegt werden. Stattdessen gibt also der Bürger diese Kompetenz ab und überlässt sie anderen.

Die Folge für ihn: Irgendwann hat er die Kompetenz verloren und meint, er habe sie nie gehabt. Das „Was ich nicht kann“ ist wahr geworden, hat sich „wahr gelogen“, um mit einem klugen Philosophen zu sprechen.

Aber auch das „Geht mich nichts an“ lügt sich wahr. Denn sonst wäre das Nichtkönnen auf Dauer nicht zu ertragen und vor sich selbst auch gar nicht zu rechtfertigen. Faulheit muss ja begründet werden! Man zieht sich also ins Schneckenhaus der eigenen Inkompetenz zurück – und fühlt sich dabei sogar noch bestätigt. Denn die Politik ist jetzt arbeitsteilig Sache der anderen – und man sollte anderen nicht ins Geschäft pfuschen! Hier ließe sich dann vielleicht noch die oft benutzte Lebensweisheit „Viele Köche verderben den Brei“ als weitere Stütze und Rechtfertigung dieser Lebenseinstellung anführen.

Was ich tun muss, schafft mir Genuss

Wenn man etwas tun muss, bedeutet das einen Zwang und eine Einschränkung der eigenen Freiheit. Das ist unangenehm.

Also biegt man selbst, bzw. die anderen, die etwas zu sagen haben, biegen für diejenigen, die nichts zu sagen haben, das Müssen um in ein Bedürfnis, durch dessen Befriedigung sich dann ein Genuss verschaffen lässt.

Beispiele dafür finden sich zuhauf. So treten momentan Legionen von Therapeuten und Seelenärzten aller Art auf, die einem beibringen wollen, welche Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung in den Ausgangssperren, genannt Lockdown, verborgen lägen. Eingedost in die eigenen vier Wände komme man nun zu sich und zur Ruhe, und aus dem inneren Chaos, in das einen der Lockdown geworfen hat, werde automatisch eine neue Form der Epidemie-Normalität entspringen. Und die eigene Familie werde sich auf eine neue Art ihres Zusammengehörigkeitsgefühls bewusst, denn wie oft habe die vorcoronäre Normalität die Familie auseinanderdriften lassen! Neue Befriedigungs- und Genussformen überall!

Und ehe man sich versieht, sind alle davon überzeugt, dass das Müssen gar kein Müssen ist, sondern ein Dürfen voller Chancen und neuer Genussmöglichkeiten.

 

Bernd Lukoschik