Demo auf dem Apostelplatz – als der Bürger unterwandert wurde

Oh ja, ich habe Angst davor, beklemmende Angst, letzten Samstag bei der Demo in Viernheim unterwandert worden zu sein. Oder wurde gar nicht ich unterwandert, sondern habe ich die anderen unterwandert?

Eines von beiden muss geschehen sein, denn immerhin ist ja die Politik sehr beunruhigt angesichts dieser neu erwachten Demonstrationslust ihrer Bürger und einer „Art Unterwanderung der Proteste durch radikale und obskure Personen“.

Ich habe umso mehr diese Angst, als ich die Rechtspopulisten hier in Viernheim nicht als Rechtspopulisten erkannt habe, auch nicht die Linksradikalen als Linksradikale, die sie sicherlich waren, oder gar die Verschwörungstheoretiker: Keiner dort murmelte Theoretisches vor sich hin und blickte analytisch drein. Einer dort könnte immerhin eine „obskure Person“ gewesen sein, er trug nämlich zu seiner Maske noch eine Kapuze. Und wenn es auch etwas nieselte – obskur sah es schon aus!

Meine Bewunderung für Regierung und Bundeskriminalamt wächst und wächst, denn denen ist ganz offensichtlich klar, dass sich in allen Städten bei den Demos ebendiese Menschenarten plus die Obskuren herumtrieben.

Ich sah um mich herum nur „ganz normale Bürger“, die gegen einen möglichen Impfzwang und gegen die Grundrechtseinschränkungen protestierten: Sie versuchten sogar, den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten, und das mit Maske, zumindest die meisten. Aber sah ich wirklich nur „normale Bürger“? Deren Anwesenheit bei den Demos ja in gewisser Anzahl von Regierung und Ämtern sogar zugestanden wurde. Und vor allem: Bin ich ein „normaler Bürger“, oder bin ich, wie befürchtet, am Samstag unterwandert worden. Noch schlimmer: War ich vielleicht nie ein „normaler Bürger“ und bildete es mir nur ein, als ich zur Demo ging mit meinen beiden Plakaten, das eine vor dem Bauch, das andere hinten auf dem Rücken? Plakate: Das spräche glatt für Verschwörungstheoretiker. Bin ich also gar ein Verschwörungstheoretiker? Ob ich ein Rechtspopulist bin oder ein Linksradikaler – weiß ich nicht, einfach weil ich seit Langem nicht mehr weiß, was diese Wörter bezeichnen! Ich weiß, dass ich immer weniger weiß in Sachen Zuordnung des Bürgers zu einem Etikett.

Trotz allem: Ich hoffe sehr, Bürger zu sein. Am besten ein normaler. Aber bin ich normal? Bürger scheine ich ja immerhin zu sein. Immerhin trug ich während des Nieselns nicht die Kapuze des Obskuren, sondern einen Schirm! Außerdem habe ich einen Personalausweis und darf wählen. Aber darf ich mir deswegen schon anmaßen, normal zu sein?

Ich habe auf all diese Fragen keine Antwort. So werde ich mich demnächst an Holger Münch, den Chef des Bundeskriminalamts, wenden. Der weiß Bescheid. Denn er erkannte, dass Rechte das bürgerliche Lager „kapern“ wollen und Verschwörungstheoretiker das Corona-Thema „dankend aufgenommen“ haben. Was voraussetzt, dass er mit Wörtern wie „Rechtspopulist“, „Verschwörungstheoretiker“, „Bürger“, „normaler Bürger“ wohl etwas anfangen kann. Der Staat scheint also Gott sei Dank noch alles intellektuell und praktisch-politisch im Griff zu haben! Er zumindest braucht keine Angst vor Unterwanderung zu haben.

 

Bernd Lukoschik