Viernheim (Lernmobil/Dr.GB) – Fernsehen, Fleisch, Alkohol, Schokolade… Diese Dinge sind „Sowohl-als-auch“: Luxus oder Genussmittel – vielleicht gar „Passion“ –, andererseits Anlass zum Verzicht.
Fasten liegt im Trend. Seit 1983 gibt es etwa „7 Wochen Ohne“. Parallel zur kirchlichen Fastenzeit (40 Tage, außer Sonntage) verzichten Menschen auf Unterschiedlichstes. Manchmal wird aus Fasten bloße Körper- oder Seelenreinigung: es geht ums Abnehmen, Entschlacken oder Entgiften. Man fordert sich selbst heraus; sehr oft geht es darum, „besser“ zu werden.

Passend im Zeitalter der Selbstoptimierung! Der ursprüngliche Zweck vom Fasten jedoch liegt nicht in der Selbstoptimierung, ist dagegen im wahrsten Sinne „religiös“ und unmittelbar auf Gott bezogen. Anders: Es geht um mich selbst – aber nur von Gott, meinen Mitmenschen und der Schöpfung her!
Fasten ist ein Phänomen, das im interreligiösen Dialog eine große Rolle spielen kann. Wie wir im Viernheimer „Forum der Religionen“ sehen, gilt das besonders für die drei abrahamitischen Weltreligionen. Mit unterschiedlichen Akzenten natürlich.

Im Judentum ist Tisch‘a be’Av ein Tag, an dem man sich durch Fasten erinnert, was echte und existenzielle Entbehrung bedeutet. Primär geht es um den damaligen Verlust von Tempel und Heimat. Eine dreiwöchige Trauerzeit geht Tisch‘a be’Av voraus. – Eid al-Fitr, das Fastenbrechen, am Ende des Ramadans ist bekannt als Inbegriff von Festlichkeit; der Ramadan selbst ist ein ganzer Fastenmonat im Islam. – Wenige wissen, dass es im Christentum früher Weihnachtsplätzchen erst an Weihnachten gab – der Advent war eine Fastenzeit. Nix mit Adventskalender und Co. – Geblieben ist bis heute vor allem die große Fastenzeit vor Ostern.

Für Christen geht es beim Fasten in erster Linie um Vorbereitung – auf die direkte Begegnung mit Gott an Ostern. Statt sich eigenen Passionen hinzugeben, wird „der Passion Christi“ gedacht. „Leiden“ und „Leidenschaft“ müssen unterschieden werden. Christi Leiden erinnert daran, dass Gott das menschliche Leben so sehr bejaht, dass er „einer von ihnen“ wird.
Um mit Christus das je „eigene Kreuz“ zu tragen, nimmt man sich vom Lebenswandel, den man üblicherweise pflegt, bewusster zurück. Es geht nicht darum, sich selbst zu optimieren, sondern Gott, seine Schöpfung und den Nächsten neu zu sehen; theologisch gesprochen: „Umkehr“. Seitdem das ökologische Bewusstsein bei vielen steigt, kann Fasten auch neue Formen annehmen: „Plastik-“ oder „Auto-Fasten“ etwa. Aber auch das bewährte „Fleisch-Fasten“ hat angesichts der schöpfungsunwürdigen Massentierhaltung ganz neue Bedeutung. Vielleicht könnte Fasten sogar in Coronavirus-Zeiten dem „hysterischen Hamstern“ vorbeugen? Fasten oder Umkehren meint auch, sich die eigenen Ängste von Gott aufs Neue nehmen zu lassen.

Die Fastenzeit sieht konkret recht unterschiedlich aus; allgemein gilt jedoch das Folgende: Ob „Fasching“, „Karneval“, „Fastnacht“ oder „Zeit der Narren“ – noch einmal darf die Sau raus. Der Winter wird vertrieben, mit Ostern beginnt der Frühling so richtig. – Christen verbringen diese Zeit mit Reflexion, Andachten, Kreuzwegen und – Fasten. Es gibt gemeindespezifische Schwerpunkte; die Viernheimer katholische Gemeinde begeht die diesjährige Fastenzeit mit dem Motto „Brot in Asche gebacken“. „Asche to go“ hieß der diesjährige Aschekreuz-Brauch; Asche auf dem Haupt steht schon in der Bibel für Trauer, Buße und Umkehr. So manche evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer wiederum laufen in der Fastenzeit predigttechnisch zu Höchstleistungen auf.

Und da wäre noch, was Paulus im 1. Korintherbrief schrieb: „Wir sind Narren um Christi willen…“ Das heißt zwar nicht, dass Christen immerzu Fasching feiern; hat aber dafür in den Orthodoxen Kirchen eine spezielle, recht unbekannte Tradition tief inspiriert, in der „Fasten“ und „Brechen mit gesellschaftlichen Konventionen“ zum Basisprogramm wurden. Die Anhänger nennen sich „Narren in Christo“. Bei ihnen gilt: „Fasten aus Leidenschaft“, oder besser: „Fasten aus Passion“.