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Viernheim (Stadt Viernheim/Vo) – Zum Anlass des Volkstrauertages (13.11.22) fand in der Friedhofskapelle auf dem Friedhof Lorscher Straße die Feierstunde statt. Alle Bürgerinnen und Bürger waren rechz herzlich eingeladen. Die Gedenkrede hielt in diesem Jahr Stadtverordnetenvorsteher Norbert Schübeler.

Musikalisch umrahmt wurde die Feierstunde vom Männergesangsverein 1846 Viernheim e.V., Musik³ und Hermann Wunderle an der Orgel.

Die Gedenkfeier war eine gemeinsame Veranstaltung des Sozialverbands VdK, dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge und der Stadt Viernheim.

Rede von Stadtverordnetenvorstehers Norbert Schübeler:

Das Bild zeigt Klementina, acht Jahre alt, am 16. März 2022.  Sie ist mit ihrer Mutter aus Obolon, einem Stadtteil im Norden Kiews, geflohen. Ihr älterer Bruder hat sich freiwillig zum Wehrdienst gemeldet. Klementina will mit ihrer Mutter nach Kopenhagen und wiederholt immer wieder die Frage, ob sie dort auch bald in eine Schule gehen darf. „Es ist dieser Blick“, so formuliert es Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, „diese Mischung aus Furcht und Erschöpfung in den Augen, die dem Betrachter nahe geht. Der Fotograf Florian Bachmaier hat dieses Bild in der West-Ukraine gemacht. Aktuell wissen wir nichts über ihr Schicksal – ob sie noch in der Ukraine lebt oder geflohen ist.“

Abgebildet war das Foto in der Zeitschrift FRIEDEN Ausgabe 1/2022 des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Auch wir waren verstört im Februar und März dieses Jahres, obwohl wir – anders als Klementina – in Sicherheit waren.

 

Wir haben verstörende Bilder vor Augen, wenn es um diesen völkerrechtswidrigen Akt, diesen Angriffskrieg in der Ukraine geht. Junge Soldaten im Kampf, Frauen und Kinder auf der Flucht, verzweifelte alte Menschen in Kiew, Charkiw, Mariupol und anderswo.

Einen solchen Rückfall in die überwunden geglaubten Zeiten des Krieges, in die dunkelsten Jahre des vergangenen Jahrhunderts, hielt ich für ausgeschlossen. Das Gefühl, zum ohnmächtigen Zuschauer verurteilt zu sein, bedrückt viele von uns.

 

Doch gerade auch vor diesem Hintergrund ist und bleibt der Tag der Trauer heute ein Tag der Mahnung. Das Vermächtnis aller Kriegstoten, der gefallenen Soldaten und der zivilen Opfer, ist und bleibt die wichtige Mahnung vor jeder Kriegsgefahr. Nur der unerschütterliche Wille zum Frieden kann diesen Krieg beenden und neue Konflikte verhindern.

 

Nie wieder Krieg! Das war das fundamentale Ziel europäischer Einigungsbemühungen im Hinblick auf die schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege. Spätestens seit dem Frühjahr 2022 haben wir alle erlebt, wie diese Hoffnung auf eine europäische Friedensordnung zerbrochen ist. Der Krieg in der Ukraine ist der Überlebenskampf eines souveränen Staates gegen einen rücksichtslosen Aggressor; zugleich ist es ein Kampf der Ukrainer für Freiheit und Demokratie.

 

Doch es ist nicht das erste Mal, dass die Ukraine überfallen wurde. So erinnern auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Dr. Georg Bätzing des Bistums Limburg sowie Dr. h.c. Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, daran, „dass das Land im Zweiten Weltkrieg einer der Hauptkriegsschauplätze war. Zu den umkämpften Städten gehörte schon damals Charkiw/Charkow. Anfang 1943 fand hier eine der schrecklichen Panzerschlachten des Zweiten Weltkriegs statt“.

 

Der Widerstand der Ukrainer richtete sich damals vor allem gegen das nationalsozialistische Deutschland. Viele ukrainische Familien tragen bis heute schmerzhafte Erinnerungen an diese Ereignisse in sich. Die Überlebenden von damals müssen heute erleben, wie das vergangene Grauen wiederkehrt. Die Hoffnung auf eine humane Gesellschaft wird durch den Krieg zutiefst erschüttert. Vermeintlich unumstößliche Sicherheiten zerbrechen. Millionen Menschen müssen fliehen. Es sind vor allem Frauen und Kinder, die ihre Heimat verlassen, während die Väter und Söhne zu den Waffen greifen und in den Krieg ziehen, um ihre Heimat zu verteidigen. Ihr verzweifelter Mut verdient Respekt; ihr Schicksal bedarf unserer Solidarität.

 

Aber auch auf russischer Seite werden junge Männer in einen Krieg geschickt, den sie nicht haben kommen sehen. Auf beiden Seiten sterben Menschen und fallen dem Wahn eines despotischen russischen Herrschers und seiner Vasallen zum Opfer. Hinter jedem Einzelschicksal steht ein Name; jedes Leben steht für einen Menschen mit einer unverlierbaren und unantastbaren Würde.

 

Ich bin heute am Volkstrauertag froh, dass viele Bürgerinnen und Bürger Viernheims unsere Partnerstadt Mława in Polen mit Spenden unterstützt haben, damit dort den Flüchtlingen aus der Ukraine geholfen werden kann.

 

Es freut mich, dass so viele Bürger Viernheims bei sich Flüchtlinge aufgenommen haben oder für „Vermiete doch an die Stadt“ Wohnungen bereitgestellt haben.

 

Und es ist an diesem Tag der Trauer und Mahnung ein Zeichen der Hoffnung und europäischer Verbundenheit, dass sich unsere französische Partnerstadt Franconville ganz offiziell auch mit Mława verbinden möchte.

Es gibt noch weit mehr Kriege und Krisen auf der Welt, das dürfen wir nicht vergessen.

274 Millionen Menschen weltweit werden 2022 auf humanitäre Hilfe angewiesen sein: von Afghanistan über Äthiopien und Jemen bis hin zu Myanmar und Syrien. Noch nie zuvor was das Leid weltweit so groß. Der größte Teil der Länder war in den letzten zehn Jahren fast ununterbrochen von Konflikten betroffen.

An diesem Tag stellt sich jedes Jahr die Frage, wie es zum Ausbruch von Kriegen und zu Gewaltherrschaft kommen konnte und immer noch kommen kann. Der Volkstrauertag ist daher nicht nur ein Gedenktag der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft aller Völker und Nationen, sondern auch ein Tag der Mahnung. Ein Tag des „Nichtvergessens“ – nämlich nicht zu vergessen, welch gefährdetes Gut der Frieden in Europa, der Frieden auf der ganzen Welt ist. Eine Alternative zum Krieg gibt es immer, eine zum Frieden nicht!

Ich bedanke ich mich beim Sozialverband VDK Viernheim und dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge für die Organisation der heutigen Feierstunde. Ein herzliches Dankeschön auch an Hermann Wunderle an der Orgel, dem Männergesangsverein 1846 Viernheim e.V. und Musik³, die unsere heutige Gedenkstunde musikalisch feierlich umrahmen.

 

Lassen Sie uns nun gemeinsam gedenken

 

Totengedenken

 

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

 

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

 

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

 

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

 

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

 

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.

 

Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

 

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.

 

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

 

Das Sprechen des Totengedenkens durch den Bundespräsidenten wird 1952 von Theodor Heuss eingeführt. Der Text erfährt im Laufe der Zeit mehrfach Anpassungen. Zuletzt ändert Amtsnachfolger Frank-Walter Steinmeier 2020 den Text in Reaktion auf die terroristischen, antisemitischen und rassistischen Gewaltakte der jüngeren Zeit, um an deren Opfer explizit zu erinnern. 2021 wird diese neue Fassung erstmals bei allen größeren oder kleineren Gedenkveranstaltungen übernommen.