Stellen Sie sich vor: Gott befiehlt einem Familienvater, seinen eigenen Sohn zu töten und der Vater willigt ein. In letzter Sekunde aber erscheint ein Engel Gottes und verhindert die Bluttat, denn der Vater hat sein Gottvertrauen durch sein bedingungs-loses Einverständnis ausreichend unter Beweis gestellt. Nach islamischer Überlieferung gilt diese göttliche Prüfung Abraham, und weil er diese besteht, darf sein erstgeborener Sohn Ismael am Leben bleiben. Als Zeichen seiner Dankbarkeit opfert Abraham auf Gottes Geheiß einen Widder. Das Fleisch des Opfertieres verteilt er unter Freunden und Bedürftigen – es gibt ein versöhnliches Ende, das erste Opferfest wird gefeiert.

Das Fest bezieht sich auf eine Geschichte, die auch Juden und Christen auf ähnliche Weise bekannt ist. Abraham und seine Frau Sara, so berichtet der Koran genauso wie die Bibel, haben keine Kinder. Deshalb zeugt Abraham einen Sohn, Ismael, mit einer Sklavin namens Hagar (arab: Hajar). Später wird Sara selbst schwanger und gebärt ebenfalls einen Sohn: Isaak. Nach islamischer Tradition ist Ismael der Sohn, der geopfert werden sollte, während es sich nach christlicher und jüdischer Tradition um Isaak handelt.

Der Sklavin Hajar wird im Islam jedoch mehr Aufmerksamkeit zuteil als Sara. Abraham setzt Hajar zusammen mit ihrem Baby Ismael in der Wüste aus und überlässt beide Gott und ihrem Schicksal. Das Baby schreit vor Hunger und Durst. In ihrer Verzweiflung läuft Hajar auf der Suche nach Rettung umher. Sieben Mal rennt sie zwischen den Hügeln Safa und Marwa hin und zurück. Als sie mit leeren Händen zu Ismael zurückkehrt, stampft dieser vor Hunger und Durst in den Sand. An der Stelle, wo sein Fuß den Wüstensand berührt, öffnet sich Zam Zam, die Quelle des Lebens, und Mutter und Kind werden gerettet. Im Islam wird Hajar, wie auch Abraham zuvor, so zum Symbol des Gottvertrauens und der Beharrlichkeit im Glauben. Noch heute treten muslimische Pilger und Pilgerinnen symbolisch in Hajars Fußstapfen, indem sie in Mekka ihren siebenfachen Gang zwischen den Hügeln Safa und Marwa nachlaufen.

Die Hingabe an Gott und die Unterwerfung unter seinen Willen kennen alle drei abrahamitischen Religionen gleichermaßen. Das Opferfest ist darüber hinaus das bedeutendste Fest im Islam. Es stellt zugleich den Höhepunkt der Pilgerfahrt nach Mekka, dem Hadsch, dar und erstreckt sich über vier Tage, dieses Jahr in der Zeit vom 20.-24. Juli, beginnend ab Dienstag.

Weltweit gehört es zur Pflicht aller Muslim*innen, zu diesem Fest ein Tier zu opfern, sofern sie über die finanziellen Mittel dazu verfügen. Das Fleisch wird zu einem Drittel an Bedürftige, einem Drittel an Nachbarn und Bekannte verteilt, wobei der dritte Teil für die Familie bestimmt ist. In vielen Teilen der Erde ist die Zeit des Opferfestes für die ärmere Bevölkerung die einzige Gelegenheit, Fleisch zu verzehren. Das Fest trägt somit durch Solidarität und gegenseitige Hilfe zum gesellschaftlichen Frieden bei, da durch die Opferspende ein Ausgleich bei ungleichen Einkommensverhältnissen angestrebt wird.

Im Mittelpunkt des Festes steht dabei die Barmherzigkeit Gottes. Es geht aber auch um Werte wie Hilfsbereitschaft, Freundschaft und Versöhnung. Wie bei allen muslimischen Festen, spielen Familie und Beisammensein auch beim Opferfest eine große Rolle. Die Gemeinde trifft sich in der Moschee zum Gebet, Familienmitglieder und Freunde kommen zum gemeinsamen Essen zusammen, Kinder werden beschenkt. Schon an den Tagen vor dem Fest werden viele aufwändige Speisen vorbereitet, gekocht und gebacken.

Das Forum der Religionen wünscht unseren muslimischen Mitbürger*innen ein gesegnetes Opferfest! Bleiben Sie gesund…

 

Selma Emekci

Im Namen des Forums der Religionen