Die Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf (links) und der BdV-Kreisvorsitzende Gerhard Kasper (Heppenheim) freuen sich über die Entscheidung im Hessischen Landtag.
Foto: BdV

Kreis Bergstraße (G.Kasper) –  Die Eingliederung von mehr als zwölf Millionen deutscher Vertriebener und Flüchtlinge ist eine der herausragenden Leistungen in der deutschen Geschichte der Nachkriegszeit. Heute leben sie und ihre Nachkommen als  Bürger der Bundesrepublik Deutschland nicht anders als die Deutschen, die schon immer hier ansässig waren.  Dies gilt auch für den Kreis Bergstraße, in dem Zehntausende Unterkunft fanden und sich hier neue Existenzgrundlagen schufen. „Mit ihrer Kultur haben die Heimatvertriebenen einen Teil ihrer  alten Heimat in ihr neues Zuhause gebracht. Das ist ein Gewinn für alle. Deshalb steht der Bund der Vertriebenen (BdV) in der Verantwortung, dieses reiche kulturelle Erbe zu bewahren“, sagte der BdV-Kreisvorsitzende Gerhard Kasper im  Gespräch mit dieser Zeitung. Der BdV-Landesverband Hessen, dem Kasper ebenfalls angehört,  habe diesen gesetzlichen Auftrag längst angenommen – und dies mit großem Erfolg. Damit könne man den BdV nicht mehr als ein „Folkloreverband“ aus vergangenen Zeiten einordnen, sondern als ein redlich bemühter, verlässlicher Botschafter im europäischen Rahmen.

Ein Teil der Stadtgeschichte

In diesem Zusammenhang erinnerte der BdV-Kreisvorsitzende Gerhard Kasper auch an die ostdeutsche Kultur- und Heimatstube mit Schönbacher Stube, die im Heppenheimer Amtshof untergebracht ist. Nach einem Gespräch mit der hessischen BdV-Kulturbeauftragten Rose-Lore Scholz sagte Kasper: „Die Heimatstube ist ein besonderes Kulturgut der jüngeren Geschichte. Sie zeigt unter anderem die gelungene Integration der Heimatvertriebenen in Heppenheim auf. Sie ist ein Teil der Stadtgeschichte.“  Dies wirke identitätsstiftend für die Bevölkerung in den Städten und Gemeinden“, so Kasper.  Kasper wollte die ostdeutsche Heimatstube in Heppenheim digitalisieren, so dass man auf der Homepage des BdV-Kreisverbandes Bergstraße alle Exponate zu Hause per Internet bei einem virtuellen Rundgang anschauen kann. Bei der Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf,  stieß Kaspers Anliegen auf offene Ohren. Erste Digitalisierungen der  ostdeutschen Heimatstuben in Heppenheim wurden im Januar dieses Jahres bereits durchgeführt.

Ein zweiter großer Schritt

Jetzt wurde aber ein zweiter großer Schritt getan. Der Auftrag für einen Forschungsbereich in Hessen zur Gedenk- und Kulturarbeit der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler ist mit Verabschiedung des Haushaltsplanes 2022 in der Plenarsitzung Anfang Februar  erteilt worden. Damit hebt das Land Hessen diesen Themenbereich auf eine neue Stufe und trägt dem Umstand Rechnung, dass es für diesen Forschungsbereich angesichts der schwindenden Zeitzeugengeneration hohe Zeit ist. Ein Forschungsbereich, der die Erinnerung an die Vertreibungsgebiete wachhält sowie das Geschehen von Flucht und Vertreibung untersucht, ist für die Hessische Landesregierung ein zentrales Anliegen. Nahezu 30 Prozent der hessischen Bürgerinnen und Bürger sind über ihre Familien von Vertreibung und Aussiedlung betroffen.

 Im aktuellen Koalitionsvertrag der hessischen Regierungskoalition heißt es: „Hessens Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg ist in weiten Teilen auch geprägt von der Leistung der Heimatvertriebenen. Um Kultur und Geschichte der Vertriebenen und Spätaussiedler wissenschaftlich aufzuarbeiten, wollen wir einen Lehrstuhl an einer hessischen Universität einrichten und sie in einer vom Land getragenen Dauerausstellung darstellen.“

 

Uni Gießen in Kooperation

 

Die Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf wörtlich: „Es ist ein großer Erfolg, dass das Anliegen ‚Einrichtung eines Lehrstuhls‘ zum Thema Kultur und Geschichte der Vertriebenen und Spätaussiedler im hessischen Koalitionsvertrag verankert werden konnte. Als Landesbeauftragte habe ich mich auch persönlich dafür eingesetzt. Mit der Verabschiedung des Haushaltsantrags zur Einrichtung des Forschungsbereichs über die Geschichte und Kultur von Vertriebenen und Spätaussiedlern sind wir diesem Vorhaben ein großes Stück nähergekommen, was ich außerordentlich begrüße“, so Margarete Ziegler-Raschdorf.

Im Landeshaushalt 2022 schafft die Hessische Landesregierung die Grundlage für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Kultur und Geschichte von Vertriebenen und Spätaussiedlern an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Der Schwerpunktbereich „Historische Erinnerung und kulturelles Erbe – Vertriebene und Spätaussiedler in Hessen seit 1945“ soll in Kooperation mit

dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung der Leibniz-Gemeinschaft entstehen.

 

300.000 Euro jährlich

 

Die Leitung der Arbeitsgruppe, bestehend aus vier Personen, wird der Innsbrucker Osteuropahistoriker Prof. Dr. Peter Haslinger   übernehmen. Dafür werden von 2022 bis 2026 jährlich 300.000 Euro zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang sieht Frau Ziegler-Raschdorf einem Angebot von Lehrveranstaltungen und Vorlesungen im universitären Vorlesungsverzeichnis mit großer Erwartung entgegen. Solches ist ein ganz wichtiger Punkt, um das Interesse der  Studierenden und auch der Öffentlichkeit für dieses Thema zu wecken und für eine bessere Verbreitung zu sorgen.

 Bislang gibt es im gesamten Bundesgebiet zwar Forschungsaufträge für gewisse Teilgebiete im Kontext von Flucht und Vertreibung, aber keinen Lehrstuhl für die Gesamtthematik. Insofern freuen sich Frau Ziegler-Raschdorf  und auch der BdV-Kreisvorsitzende Gerhard Kasper, dass Hessen hier einen entscheidenden Schritt vorangeht und damit auch einer lange gehegten, wichtigen Forderung der Vertriebenenverbände nachkommt. Beide sind überzeugt, dass durch die Einrichtung des Forschungsbereichs zu Geschichte und Kultur von Vertriebenen und Spätaussiedlern die wichtige Arbeit für die Bewahrung der Kultur der Vertreibungsgebiete erheblich aufgewertet, unterstützt und bestärkt wird, so Ziegler-Raschdorf und Kasper abschließend.