Foto: Stadt Viernheim

Viernheim (Stadt Viernheim) – Wie kann es gelingen, dass Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien die staatlichen Leistungen, die es für gesellschaftliche Bildung und Teilhabe gibt, auch tatsächlich nutzen? Wie kann der Kinderarmut wirksam begegnet werden? Dieser Herausforderung stellt sich die Stadt Viernheim in Kooperation mit dem Eigenbetrieb „Neue Wege“ des Kreises Bergstraße im Rahmen einer Aufklärungskampagne, um auf die finanzielle Unterstützungsmöglichkeit aufmerksam zu machen. Ziel ist, alle Verantwortlichen, die in ihrem Wirkungskreis mit Kindern zu tun haben, zu sensibilisieren, damit Kinder gefördert werden und der Kinderarmut entgegengewirkt wird. Für diesen Zweck steht nun ein Team, bestehend aus Stadtverwaltung und „Neue Wege“, für Informationsbesuche in allen Einrichtungen zur Verfügung, damit sich das Thema überall dort verankert, wo mit Kindern täglich gearbeitet wird und sozial schwache Familien aufmerksam gemacht werden können.

 

Bei einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag (12. Mai) stellen Bürgermeister Matthias Baaß, Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz, Eigenbetriebsleiterin Dr. Melanie Marysko, Amtsleiter Horst Stephan und Lars Prechtl von der städtischen Jugendförderung die Hintergründe dieser Überlegungen sowie die aktuellen Schritte, die bereits erfolgt sind, vor. „Wir wollen erreichen, dass die staatlichen Leistungen von den Menschen abgerufen werden, die sie brauchen und für die sie gedacht sind,“, erklärt Bürgermeister Baaß. „Kinder und Jugendliche aus finanziell schwächeren Familien sollen hierbei in den Fokus genommen werden, um ihnen gesellschaftliche Teilhabe und Bildung zu ermöglichen“.

 

Doch dafür ist Aufklärungsarbeit von Nöten, denn viele Eltern wissen nichts von den Fördermöglichkeiten im Rahmen des Bildungs- und Teilhabegesetztes (BuT). Bestes Beispiel ist das Stadtteilbüro Ost der städtischen Jugendförderung an der Alexander-von-Humboldt-Schule. Nachdem eine neue Mitarbeiterin der Jugendförderung einen Teil ihrer Arbeitszeit darauf verwendet hatte, mit den Schülern, Eltern und Lehrkräften Gespräche zu führen und auf die staatlichen Leistungen aufmerksam zu machen, verdoppelte sich die Zahl der über das Bildungs- und Teilhabegesetz bezuschussten Mittagessen an der Schule. „Die Chancen und das Potenzial, die eine solche Vorgehensweise bietet, sind deutlich“, betont Baaß. Aus diesem

 

Grund sei die Stadt Viernheim mit dem Eigenbetrieb „Neue Wege“ des Kreises Bergstraße in einen Dialog getreten, der Mitte des Jahres 2022 in einen gemeinsamen Prozess mündete.

 

Es ist wichtig, dass Kinder aus finanziell schwachen Familien aufgrund ihrer Situation nicht abgehängt werden“, betont auch Erste Kreisbeigeordnete Stolz. Daher beschäftige sich auch der Kreis Bergstraße seit langem mit diesem Thema und versuche, Familien auf die staatlichen Leistungen aufmerksam zu machen. Mit einem Brief des Landrats schreibe der Kreis die Eltern zu Beginn eines jeden Schuljahres mit einem Hinweis zum Bildungs- und Teilhabegesetz an. „Wichtig ist, die Hemmschwellen abzubauen und direkt die Eltern zu erreichen.“ Aus diesem Grund sei sie für die Initiative von Seiten der Stadt Viernheim sehr dankbar, alle beteiligten Stellen, die für Bildung und Teilhabe zuständig sind, in diesem Bereich mit einzubinden.

 

Die Beantragung von monetären Hilfen ist ein sensibles Thema, weiß auch Dr. Melanie Marysko. Bei „Neue Wege“ gebe es für diesen Bereich sogar ein extra zuständiges Team, um Kindern Teilhabe im Leben zu ermöglichen. “Wir sind froh, dass wir diese Mittel zur Verfügung stellen können, denn durch das Bildungspaket wird die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen z. B. an Ausflügen und Klassenfahrten, an Musik- oder Sportangeboten und Ferienfreizeiten und am gemeinschaftlichen Mittagessen in der Schule bzw. Kindertageseinrichtung sowie die Übernahme der Schülerbeförderungskosten oder für Lernförderung unterstützt.“ Und jede Familie, die einen Anspruch hat, bekommt das Geld, ergänzt Stolz: „Die Mittel dafür sind in Hessen nicht begrenzt, es gibt sozusagen kein Budgetende.“ Im Jahr 2022 wurden im Kreis Bergstraße Mittel in Höhe 2,4 Millionen Euro für Bildung und Teilhabe bewilligt. 509.000 Euro entfielen dabei auf die Stadt Viernheim.

 

Auftrag der Viernheimer Kommunalpolitik

Auch der Viernheimer Politik war das Thema ein großes Anliegen und bedeutete für unser Projekt eine wichtige Rückenstärke“, berichtet Horst Stephan, Amtsleiter im Amt für Kultur, Bildung und Soziales. Daher beauftragte der Sozial- und Kulturausschuss mit Beschluss am 2. November 2022 die Verwaltung, im Jahr 2023 eine gemeinsame Viernheimer Kampagne zum Thema „Kinderarmut/Bildungs- und Teilhabegesetz“ auf den Weg zu bringen. Wichtigste Voraussetzung: Alle entsprechenden Experten aus Stadt- und Kreisverwaltung, Gesellschaft, Institutionen und Kommunalpolitik sollen hierfür an einen Tisch gebracht werden.

 

Zur Umsetzung des politischen Auftrags fand daraufhin am 28.11.22 im kleinen Saal des Bürgerhauses der erste „Runde Tisch“ zu diesem Thema statt. Die Veranstaltung fand großen Zuspruch, ca. 30 Personen aus dem vorgenannten Expertenkreis nahmen teil. Bei der Auswertung des Protokolls „Runder Tisch“ hatte der Bedarf an Schulungen eine herausragende Stellung eingenommen. Die Verwaltung in Kooperation mit „Neue Wege“ entschied sich daher für eine „aufsuchende“ stadtweite Kampagne in Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, bei Vereinen, Gruppen und Institutionen. Verantwortliche sollen hierbei als Multiplikatoren für andere Eltern wirken, in dem sie Informationen zu den staatlichen Leistungen weitergeben oder bei Rückfragen auch Auskunft geben können. Zur Profilierung dieser Schulungen konnten drei „Piloten“ gewonnen werden: Der Kindergarten Kinderdörfel, die Schillerschule sowie der TSV Amicitia, bei denen im Frühjahr jeweils eine Informationsveranstaltung stattfand. Dabei wurden Fragen diskutiert, wie zum Beispiel „Was braucht es, um die Eltern und Kinder zu erreichen, die im Fokus stehen?“, „Wie kann sich die Schule für diesen Prozess fit machen?“ oder „Wie können Vereine mit ins Boot geholt werden?“

 

 

Die nächsten Schritte

Die Offenheit und Motivation für dieses Thema ist in Viernheim sehr groß“, berichtet Horst Stephan rückblickend, daher sei ein Informationsbesuch in Einrichtungen der richtige Weg, um für das Thema zu sensibilisieren. Selbstverständlich müsse dabei der Fachkräftemangel berücksichtigt werden, aber die Kampagne biete die Möglichkeit, die ganz Stadt zu verbinden und etwas Großes zu bewirken, so sein positives Fazit.

 

Mit den gewonnen Erfahrungen wurde zum zweiten Viernheimer „Runden Tisch“ am 8. Mai eingeladen und gemeinsam die nächsten Schritte vorbereitet. So wird der beteiligungsorientierte Prozess weiter durch die Steuerungsgruppe von „Neue Wege“ und Stadt Viernheim moderiert. Im Fokus liegen zunächst die Kindertagesstätten, mit denen eine gemeinsame Strategie entwickelt werden soll. Mögliche Themen auf der Agenda sind Schulungen für Fachkräfte, Etablierung von Ansprechpartnern zum Bildungs- und Teilhabegesetz in jeder Einrichtung, Vernetzung und Kooperation im Sozialraum sowie niederschwellige, kurzfristige Hilfsmöglichkeiten wie zum Beispiel Tauschbörsen oder Notfallfonds zu etablieren. Bereits geplant sind Besuche in den Kita’s Arche Noah, St. Hildegard sowie die Integrationslotsinnen – und lotsen des Vereins Lernmobil e. V. Ebenfalls Interesse an einem Besuch bekundet haben die Kita’s Entdeckerland und Johannes der XXIII. Nach den Sommerferien ist des Weiteren ein Treffen mit allen Leitungen der Viernheimer Kindertagesstätten als Auftakt zur „Armutssensibilität“ geplant. Außerdem soll eine Grundschule als Pilotprojekt sowie weitere Bündnispartner gewonnen werden.