Betroffene und Akteure tauschten sich beim „Rathaus-Gespräch“ mit Alternsforschern der Heidelberger Universität aus

Foto: Stadtverwaltung Weinheim
Foto: Stadtverwaltung Weinheim

Weinheim (Stadtverwaltung Weinheim) – „Was hier gerade passiert“, befand Prof. Dr. Andreas Kruse, „das ist tiefe praktizierte Demokratie“. Der bundesweit renommierte Alternsforscher, Leiter des Instituts für Gerontologie an der Uni Heidelberg, war sichtlich beeindruckt vom „Rathausgespräch“ in Weinheim, bei dem sich jetzt betroffene Angehörige von Demenzkranken und die kommunalen Akteure für Betreuung und Pflege demenzkranker Menschen drei Stunden lang austauschen konnten. Die Rathausgespräche sind ein wissenschaftliches Format, das die Universität nutzt, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die wiederum der Politik als Entscheidungsgrundlage dienen. Prof. Dr. Kruse ist verantwortlich für den Alternsbericht an die Bundesregierung. Weinheim ist einer von 30 Standorten bundesweit, an dem ein solches Rathaus-Gespräch stattfindet.

„Weinheim war für ein solches Rathausgespräch gesetzt“, verkündete er eingangs des Treffens Oberbürgermeister Manuel Just. Schließlich sei die Stadt in der Region dafür bekannt, „dass man hier das Thema Demenz schon weit in die Bürgerschaft hineingetragen hat“. Immer wieder war auch vom kürzlich verstorbenen Dieter Gerstner die Rede, der zu Lebzeiten dafür gesorgt hat, dass sich viele Akteure um die Krankheit des Vergessens und um die pflegenden Angehörigen kümmern. 1,7 Millionen Menschen seien, so Kruse, von Demenz betroffen. Auf Weinheim heruntergerechnet sind es in der Stadt zwischen 800 und 900.

Nach der Begrüßung durch Oberbürgermeister Manuel Just moderierten Kruses Mitarbeiterinnen Dr. Stefanie Wiloth und Dr. Birgit Kramer im Alten Rathaus drei Gesprächsrunden. Zunächst war das Wort bei den pflegenden Angehörigen, die ihre Sorgen und Bedarfe schilderten – die Akteure aus Kommunen, Organisationen und Einrichtungen hörten zu. Es wurden konkrete Anforderungen gestellt, zum Beispiel die Einführung einer Tagespflegeeinrichtung für Demenzkranke, eine Halbtagespflege oder auch – recht profan – eine Ausnahme-Parkgenehmigung für Pflegedienste. Aber auch persönliche Gefühle und Wünsche wurden geäußert: Eine Frau sprach über die Probleme, die eine Wesensänderung ihres Mannes im Krankheitsverlauf mit sich bringt. In diesem Zusammenhang wurde von allen Beteiligten eine Teilnahme an der Demenzpatenschulung empfohlen, die vom Förderverein Alzheimer auch nach Dieter Gerstners Tod weiter angeboten wird.

In einer nächsten Gesprächsrunde wurden die Akteure – Ärzte, Pflegeexperten, Behörden-Vertretern und einer Vertreterin der Alwine-Stiftung gegen Altersarmut  – befragt. „Unseren Patienten fehlt es auch finanziell an allen Ecken und Enden“, beklagte die Mitarbeiterin einer Pflegeeinrichtung. Ein Mangel an Fachärzten und für Demenzsymptome geschulten Hausärzten wurde beklagt, neue Wohnformen wurden angeregt.

Ute Schleh, die im Amt für Soziales, Jugend, Familien und Senioren das Thema Altern betreut, berichtete, wie sich das Fachamt zum Beispiel im Projekt „Quartier 2020“ um Nachbarschaftsmodelle kümmert. Auch eine zentrale Internet-Plattform, die auch zum Austausch zwischen Betroffenen und Akteuren eingesetzt werden kann, wurde besprochen. Eine als Angehörige teilnehmende Kommunikations-Designerin bot sogar spontan ihre Hilfe an.

Der Austausch war rege – und nach Ansicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr wohl zielführend. Die Angehörigen werden noch weitere wissenschaftliche Befragungen durch das Institut mitgestalten.

„Eine unglaublich interessante Veranstaltung“, bescheinigte Prof. Dr. Andreas Kruse zum Schluss. Schon jetzt – in einer frühen Phase der Rathaus-Gespräche – beschrieb er als Ziel, „die Kommunen als Netzwerker vor Ort zu stärken“. Damit könne man gegenüber der Bundesregierung erklären, dass vor Ort auch kommunale Mittel bereit stehen müssten, um Probleme an der Wurzel zu packen. OB Just hörte diesen Aspekt mit sichtbarer Freude.