Foto: Stadt Weinheim

Weinheim (Stadt Weinheim)Szenen eines Schulalltags: Es hat zur großen Pause geläutet. Die meisten Schülerinnen und Schüler strömen in den Hof. Aber ein Mädchen geht auf eine Tür am Ende des Flurs zu, die immer für sie geöffnet ist. „Komm ruhig rein und setz‘ Dich“, lädt Judith Iwanowitsch das Mädchen ein, „wo drückt der Schuh?“ „Schlechte Stimmung zuhause?“ „Ärger in der Klasse?“ „Wie kann ich Dir helfen?“   

In der Szene könnte es sich auch um einen Jungen drehen. Oder um die Schulsozialarbeit an einer anderen Weinheimer Schule. Judith Iwanowitsch ist eine Schulsozialarbeiterin der ersten Stunde. Sie ist seit zehn Jahren dabei, ebenso wie Nalini Menke. Weitere Kolleginnen und Kollegen sind dazugekommen.

Zum Schuljahr 2012/2013 wurde an Weinheimer Schulen die Schulsozialarbeit eingeführt – und sukzessive ausgebaut. Mittlerweile ist sie an allen 16 Schulen in Trägerschaft der Stadt verankert, an den Grund – und weiterführenden Schulen. 13 Fachkräfte kümmern sich um die Schülerinnen und Schüler, die Probleme und Sorgen haben.

Damals war die Einführung der Schulsozialarbeit ein innovativer Schritt und für die Region relativ neu. Der Bildungsstandort Weinheim war einer der ersten, der einen klaren Kurs eingeschlagen hat.

 

Unverzichtbare Anlaufstelle

 

Die Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter bieten Unterstützung und Beratung in verschiedenen Bereichen an. Sie begleiten in persönlichen Krisen, bieten Einzel- und Gruppengespräche an und organisieren Projekte und Workshops zu Themen wie Gewaltprävention, Stressbewältigung und Berufsorientierung. Gerade im Umgang mit Klassen und einzelnen Schülerinnen und Schülern kooperieren sie mit den Lehrkräften und unterstützen diese bei Projekten und Präventionsangeboten und beraten bei sozialpädagogischen Fragestellungen. Für Eltern sind die Schulsozialarbeiter neutrale Ansprechpersonen bei Fragestellung und Unsicherheiten im Umgang mit ihren schulpflichtigen Kindern. Sie beraten im Kontakt zu Schule und arbeiten mit anderen sozialen Einrichtungen zusammen, um stets eine umfassende Unterstützung gewährleisten zu können – und das alles vertraulich und freiwillig für die Ratsuchenden. Die Schulsozialarbeit hat ihren klaren Arbeitsauftrag aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz des Landes. Sie ist einerseits also eine Pflichtaufgabe, ergibt sich andererseits aber auch aus den gesellschaftlichen Anforderungen.

Von Anfang an war klar, dass die Schulsozialarbeit eine wichtige Rolle bei der Förderung von sozialen Kompetenzen, der Konfliktbewältigung und der Prävention von Problemen wie Mobbing und Sucht spielen würde. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sich die Schulsozialarbeit zu einer unverzichtbaren Anlaufstelle für Schülerinnen und Schüler entwickelt.

Nach zehn Jahren ist die Bilanz, aber auch der Ausblick klar: Schulsozialarbeit und somit Jugendhilfe an Schulen ist in dieser Dekade unerlässlich geworden – und wird immer wichtiger.

Leistungsdruck und Versagensängste haben eher zugenommen. Schlafstörungen, Unruhe und Depressionen können die Folge sein – bis hin zu psychischen Störungen.

Verbale und sogar körperliche Attacken zwischen Schülern sind keine Seltenheit. Eine Schülerin schildert eindrücklich ihre persönliche Situation: „Meine Eltern haben gestern Abend gestritten, ich konnte nicht schlafen. Es ist wegen mir. Jetzt habe ich auch noch eine Fünf in Mathe, ich weiß nicht, wie es weitergeht.“

Um Fälle wie diesen kümmert sich die Schulsozialarbeit. Es gibt aber auch solche, bei denen die Trennung der Eltern, Wegzug, Verlust und Krankheit, finanzielle Sorgen, sogar häusliche Gewalt die Ursachen sind, manchmal auch der Schulalltag selbst. Die Jugendlichen sind in aller Regel dankbar für die Hilfe. Eine Schülerin beschreibt: „Es hat gut getan, endlich mal alles rauszulassen. Jetzt habe ich Mut gefasst, meinen Eltern davon zu erzählen.“

Die Zeiten haben sich geändert in den vergangenen zehn Jahren. Die Herausforderungen sind gewachsen.

Beispiel Soziale Medien: Vor zehn Jahren war Facebook als Soziales Medium in den Kinderschuhen. Heute spielen Instagram, TikTok und andere Dienste in der Kommunikation von Schülerinnen und Schülern oft die Hauptrolle. Der starke Konsum von „Social Media“ bestimmt manches Schülerleben. Es gibt Szenen, in denen sich Grundschüler vor den Filmen fürchten, die sie selbst am Handy aufgerufen haben, und sich verstört an die Schulsozialarbeit wenden.

 

„Lebenswelt ist eine andere“

 

Beispiel Elternhaus: Aufgrund der wirtschaftlichen Situation ist die Stimmung zuhause oft angespannt, viele Elternpaare arbeiten zu zweit, oft sogar im Homeoffice. Man sitzt sich nicht selten auf der Pelle. Die sprichwörtlichen „Helikoptereltern“ waren vor zehn Jahren noch kein Begriff. Corona hat die Situation nicht erschaffen, aber verschärft, wissen die Schulsozialarbeiter. „Die strukturellen Defizite in den Elternhäusern sind größer geworden“, so beschreibt es eine von ihnen. Viele Eltern scheinen unsicher zu sein, was ihren Kindern guttut.

Beispiel Digitalisierung: Sie bestimmt mittlerweile den Schulalltag, aber sie stellt Schülerinnen und Schüler vor weitere Herausforderungen. Für die Schule muss nicht mehr nur der Kopf funktionieren, sondern auch das Netz und das Endgerät. Wer zuhause mehr Möglichkeiten zum sinnvollen Umgang hat, ist im Vorteil. Andere Kinder werden unsicher.

„Die Lebenswelt der Kinder hat sich in diesen zehn Schuljahren völlig verändert“, beschreiben Iwanowitsch und Menke.

Beispiel Ganztagesschule: Sie ist nach Ansicht der Pädagogen sinnvoll und mittlerweile die Regel statt die Ausnahme. Aber daraus ergibt sich: „Schule ist nicht mehr nur ein Lernort, sondern ein Lebensort für die Kinder und Jugendlichen.“ Manche Schüler kommen morgens um 7 Uhr und bleiben bis nachmittags um 17 Uhr. Das ist länger als ein Arbeitstag. Das heißt: Sorgen aus dem familiären Umfeld kommen mehr an den Schulen an als früher. 

In den zehn Jahren hat sich die Schulsozialarbeit noch weiter vernetzt, was am Bildungsstandort Weinheim gut möglich war und ist: zum Beispiel kommunale Sozialarbeit, Suchtberatung, Sozialverbände- und Wohlfahrtsverbände, Sportvereine, das Bildungsbüro mit seinen Integrationsprojekten, die Familien- und Erziehungsberatungsstelle – man kennt sich und schaut gemeinsam auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen. Die Weinheimer Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialerbeiter, aufgeteilt auf alle 16 Schulen in Weinheimer Trägerschaft sind: Tina Kunkel, Nalini Menke, Andrea Fleck, Chiara Kühnel, Perpetua Emig, Anne Berner, Jenny Halfpap, Barbara Oeldorf, Judith Iwanowitsch, Nicola Kiel, Lisa Klink, Torsten Rehwald, Yodit Ghebray.