Projekt soll Gesundheitsschutz fördern und die Auswirkungen der Pandemie auf gefährdete Bevölkerungsgruppen verringern

Viernheim (Stadt Viernheim) – Burkina Faso weist eine der höchsten Corona-Infektionsraten der Subsahara-Staaten auf. Die erste Infektion mit COVID-19 wurde am 9. März bestätigt. Seither erlebt das Land einen raschen Anstieg der Fallzahlen in allen Regionen, auch Viernheims Partnergemeinde Silly ist von der Pandemie stark betroffen. Maßnahmen der Regierung, die die Ausbreitung des Virus eindämmen sollen, erreichen die Mehrheit der Bevölkerung nicht, insbesondere einkommensschwacher ländlicher Gebiete mit einer niedrigen Alphabetisierungsrate. Anders als zum Beispiel in Deutschland erfolgt in Burkina Faso auch keine regelmäßige Berichterstattung in den Medien, um die alarmierende Situation aufzeigen zu können, was im Umkehrschluss dazu beiträgt, dass gerade die Menschen im ländlichen Raum wie im Departement Silly die Pandemie völlig falsch wahrnehmen und unterschätzen. Erschwerend hinzu kommen über 1.000 Vertriebene, die vor Terroranschlägen aus den nördlichen und östlichen Teilen des Landes fliehen und in der Gemeinde Silly bis heute aufgenommen wurden. Diese Bevölkerungsbewegung bleibt für das Leben der bestehenden lokalen Gemeinschaften und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und sozialer Grunddienste wie zum Beispiel Gesundheit und Bildung nicht ohne Folgen.

Abhilfe schaffen soll nun ein „Kommunales Corona-Solidarpaket“, welches Engagement Global mit ihrer „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW)“ im Auftrag und mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgelegt hat. Es soll die Solidarität in den kommunalen Partnerschaften festigen und pandemiebedingte Notsituationen abmildern. Die Zielsetzung des Kommunalen Corona-Solidarpakets besteht darin, dass sich deutsche Kommunen im Rahmen ihrer Partnerschaft und im Umgang mit der Notsituation solidarisch mit ihren Partnern im Globalen Süden zeigen und durch den Know-how-Austausch sowie durch die Umsetzung von Projekten zur Stärkung der lokalen Selbstverwaltung in der Pandemie beitragen.

Projekt soll die Bevölkerung in Silly im Umgang mit COVID-19 sensibilisieren

„Die Stadt Viernheim hat das Angebot von Engagement Global wahrgenommen und mit Unterstützung des Vereins FOCUS e. V. einen entsprechenden Antrag mit dem Titel „Projekt zur Förderung des Gesundheitsschutzes und zur Verringerung der Auswirkung der Pandemie auf gefährdete Bevölkerungsgruppen in der Gemeinde Silly“ eingereicht“, erklärt Bürgermeister Matthias Baaß. Der Bescheid zur Bewilligung des Projekts mit einem Gesamtvolumen von insgesamt 46.491,50 Euro liege der Stadtverwaltung seit letzter Woche vor, freut sich Baaß und bedankt sich in diesem Zug beim Verein FOCUS e. V. für dessen fachliche Unterstützung bei der umfangreichen Konzepterstellung zum Antrag.

In einem gemeinsamen Pressegespräch stellten nun Bürgermeister Matthias Baaß, Ousseini Ouedraogo (städtischer Koordinator für Kommunale Entwicklungspolitik), 1. Vorsitzender Klaus Hofmann sowie die Vorstandsmitglieder Wolfgang Pachner und Manfred Weidner vom Verein FOCUS e.V. die Inhalte und einzelnen Maßnahmen des Projekts vor, welches zum Ziel hat, die Bevölkerung im Departement Silly, insbesondere auch die medizinischen Mitarbeitenden, zur Einhaltung von Schutzmaßnahmen und der Wirkungsweise von COVID-19 zu sensibilisieren.

Städtischer Mitarbeiter Ousseini Ouedraogo macht deutlich, wie sehr Afrika auf eine Unterstützung angewiesen ist: „Schon alleine aus finanzieller Sicht hat Afrika nicht die Möglichkeit, sich den Impfstoff für 20 Millionen Einwohner in absehbarer Zeit leisten zu können.“ Hinzu käme die unterschiedliche Wahrnehmung der Pandemie im Land, denn einige Menschen aus den ländlichen Gegenden denken, es hinge mit dem Lebensstil in den Großstädten zusammen und sie würden daher im Dorf von der Pandemie verschont bleiben. Sänger hätten Corona sogar in ihren Lieder verspottet und würden behaupten, das Virus könne den Menschen nichts anhaben, da sie auch 45 Grad Hitze überleben, so Ouedraogo. Daher scheuen sich die Menschen auch nicht, bei einer Taufe oder Hochzeit auf zig andere Menschen ohne Abstand und Mundschutz zu treffen. „Der Regen kann verhindern, dass ein Händler mit seinem Stand auf den Markt geht, aber nicht Corona“, so die Sichtweise in Afrika. Selbst der wiedergewählte Präsident Kaboré habe kürzlich bei seiner Rede an die Nation die Bürger zum Umdenken aufgerufen, um die Pandemie zu bekämpfen.

„Ob jemand mit Corona infiziert ist, lässt sich dort auch leider nicht so einfach feststellen, da keine umfangreichen Testreihen wie zum Beispiel in Deutschland möglich sind“, weiß Klaus Hofmann. Lediglich zwei Testlabore gebe es in den größeren Städten: In der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou und in der zweitgrößten Stadt Bobo-Dioulasso.“ Beide seien aber rund 150 Kilometer von Silly entfernt und daher nur sehr schwer erreichbar. Laut John-Hopkins-Universität gebe es in Burkina Faso derzeit 4.000 Corona-Infizierte und 71 Tote aufgrund Corona. „Silly ist sich über die Notwendigkeit einer Bekämpfung und Verhütung des Corona-Virus bewusst und hat sich daher auch sofort bereiterklärt, das Projekt durchzuführen“, berichtet Hofmann, weshalb man das Konzept gemeinsam mit der Partnerstadt entwickelt und auf die vor Ort vorhandenen Gegebenheiten und Ressourcen abgestimmt habe.

Einzelne Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Silly

Das Corona-Solidarpaket habe in erster Linie eine präventive Aufgabe und ziele auf drei bestimmte Bevölkerungsgruppen im Departement Silly ab: Zum einen Schülerinnen und Schüler, die aufgrund der Bedingungen im schulischen Umfeld (Überbelegungen der Klassenzimmer, prekäre Hygienemaßnahmen) einem höheren Kontaminationsrisiko am stärksten ausgesetzt sind. Zum anderen schwangere Frauen sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen, die laut Statistiken schweren Formen der Corona-Erkrankung stärker ausgesetzt seien als relativ gesunde Menschen.

Aus diesem Grund wurde der Verein ALPPC aus Burkina Faso (übersetzt „Verein zur Bekämpfung und Prävention chronischer Krankheiten“) bei der Konzepterstellung auch mit eingebunden.

Menschen in Silly sollen sich daher auf Bluthochdruck, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes usw. untersuchen lassen, um sich vor einer COVID-19-Erkrankung zu schützen oder gegebenenfalls eine angemessene Betreuung zu erhalten. Weitere Schwerpunkte des gemeinsamen Projekts sind die Schärfung des Bewusstseins für die Pandemie durch die Bereitstellung von entsprechenden Informationen, bessere Arbeitsbedingungen für das Gesundheitspersonal und die Bereitstellung medizinischer Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie. Das Projekt decke auch den wirtschaftlichen Bereich ab, so Klaus Hofmann: „Durch die Herstellung von Schutzartikeln wie Seife und Mund-Nasenschutzmasken soll zusätzlich die lokale Produktion gestärkt werden.“ Das Ziel sei, 15.000 Menschen der rund 34.000 Einwohner in Silly mit diesen Maßnahmen zu erreichen, inklusive der über 1.000 Binnenflüchtlinge.

Kleine Maßnahmen sollen große Wirkung erzielen

Im Einzelnen, so Vorstandsmitglied Wolfgang Pachner, seien es eher kleine und einfache Maßnahmen „wie zum Beispiel die Einhaltung der AHA-Regeln und das Tragen eines Mundschutzes“, die aber eine große Wirkung haben und einen besseren Schutz der Bevölkerung bieten werden. „Um die Bevölkerung dort zu erreichen, muss man andere Wege gehen.“ So gehören zu den Sensibilisierungsmaßnahmen Schautafeln mit Verhaltensregeln rund um die Hygiene zu dem Corona-Virus, die alle Schulen und Gesundheitsstationen erhalten sowie an öffentlichen Plätzen aufgestellt werden sollen. Weiterhin sollen 30 Freiwillige in Techniken ausgebildet werden, um an Schulen Sensibilisierungsmaßnahmen durchzuführen. Personal an den Gesundheitsstationen wird geschult und Animationsveranstaltungen bzw. Theateraufführungen auf Märkten, in Schulen und an den Gesundheitsstationen sowie Informationsveranstaltungen durch Radiosendungen sind vorgesehen. Direkt vor Ort ist die Herstellung von 15.000 Stück Seife für alle Schüler und Risikogruppen geplant, bei der auch das Berufsausbildungszentrum und die Frauengruppen eingebunden werden. Des Weiteren sollen Desinfektionsmittel und 10.000 Stück an Mund-Nasenbedeckungen in Kooperation mit den Schneidern in Silly hergestellt werden. Pachner: „Ziel ist, dass die Schüler als Multiplikatoren das Gelernte zu Hause in ihrer eigenen Familie weitergeben“, aus diesem Grund soll auch jeder Schüler ein Stück Seife für zu Hause erhalten.

Für alle acht Gesundheitsstationen sind die Bereitstellung medizinischer und technischer Ausrüstung vorgesehen, wie zum Beispiel elektrische Fieberthermometer, Betten und Matratzen, Messgeräte für Blutdruck und Blutzucker, Teststreifen für Diabetiker, Schutzhandschuhe und -kleidung für das Gesundheitspersonal sowie 100 zusätzliche Händewaschvorrichtungen an öffentlichen Plätzen.

Das Projekt, für das das Ministerium die finanzielle Unterstützung zu 100 Prozent übernimmt und jetzt im Dezember startet, ist eine Laufzeit von elf Monaten vorgesehen, „wobei die Gemeinde Silly auch über diesen Zeitraum hinaus von dem Projekt profitieren wird“, sind sich alle Akteure sicher.

„Die Lage ist unvorstellbar“, so Bürgermeister Baaß, wenn man dabei die Situation in Deutschland betrachte, wo bald die Impfungen starten werden. „Davon ist Burkina Faso weit entfernt“, so Baaß, der bei diesem Vergleich die Gesundheitsversorgung in Deutschland luxuriös bezeichnet.

Solaranlagen für Gesundheitsstationen und Bau von Grundschulen geplant

Als weitere Maßnahme, die jedoch nicht in Verbindung mit dem Kommunalen Corona-Solidarpaket steht, plant der Verein FOCUS e. V., zwei weitere Gesundheitsstationen mit Solartechnik auszustatten, damit auch nachts ausreichend Licht vorhanden ist. In zwei bis drei Jahren sollen dann alle Gesundheitsstationen mit Solar aufgerüstet werden, so Manfred Weidner.

Um die hohen Schülerzahlen in Silly zu entzerren, sollen zusätzlich sechs weitere Grundschulen gebaut werden. Der entsprechende Antrag hierzu sei bereits gestellt und mit der Priorität A versehen, so dass eventuell schon im vierten Quartal 2021 mit dem Bau begonnen werden könne. Im Berufsausbildungszentrum müssen aufgrund des Zustroms an Flüchtlingen ebenfalls die Kapazitäten erhöht werden, „leider erhalten wir hier keinen Zuschuss und müssen dies selbst finanzieren.“ Daher sei der Verein auch weiterhin auf die Spendenbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen.