Im Rahmen einer Pressekonferenz informierte die Stadtverwaltung jüngst über die aktuelle Situation hinsichtlich der Verteilung der diesjährigen Krippen- und Kita-Plätze. Die bereits im letzten Jahr angespannte Situation verschärfe sich demnach weiter. Es fehlen bis zu 200 Plätze. Dies auch weil es bei der Errichtung neuer Plätze zu Verzögerungen gekommen ist, etwa bei der Erweiterung der Kita Kapellenberg. Unter anderem legte die Stadtspitze eine Planung zur kurzfristigen Schaffung von 50 „Notplätzen“ dar, welche man kurzfristig im Rathausgebäude zur Verfügung stellen will. Dies ist durch den Umzug eines Großteils der Verwaltung in die „Ellipse“ eine kurzfristig realisierbare Alternative.

Trotz der sichtlichen Bemühungen der Verwaltung liegen die Nerven vieler unversorgter Familien nachvollziehbarerweise blank. Fest eingeplante Kita-Plätze, die für die Berufs- und Lebensplanung vieler Familien entscheidend sind, stehen trotz bestehenden Rechtsanspruchs nicht rechtzeitig zur Verfügung. In den einschlägigen sozialen Netzwerken wird die Frage gestellt, wer für diese Misere die Verantwortung trägt.

Die Antwort lautet: die Stadtverordnetenversammlung bzw. jene Mehrheiten, die in den vergangenen Jahren die entscheidenden Beschlüsse gefasst oder eben nicht gefasst haben. Und da die Schaffung ausreichend vieler Kitaplätze ein komplexes und langwieriges Verfahren ist, muss man einige Jahre zurückblicken, um die Fehleinschätzungen, die zu der aktuellen Unterversorgung geführt haben, zu verstehen.

Im Juni 2020 legte Bürgermeister Baaß als zuständiger Sozialdezernent der Stadtverordnetenversammlung die aktuelle Fortschreibung des Kindertagesstättenentwicklungsplans vor. Darin wurde ausdrücklich auf eine bedenkliche Unterversorgung von Krippen- und Kita-Plätzen in den folgenden Jahren bis 2025 hingewiesen. Begründet wurde diese Prognose u.a. mit „steigender Einwohnerentwicklung, gestiegenen Geburtenzahlen, frühere Rückkehr von Müttern in den Beruf und dem kostenfreien Kitaplatz für die ersten 6 Stunden“.  Der Plan prognostizierte hieraus, dass 95 Krippenplätze und 157 Kita-Plätze im Sommer 2024 fehlen könnten, wenn keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden.

In einer entsprechenden Beschlussvorlage empfahl die Verwaltung den Stadtverordneten,

  1. diesen Plan zur Kenntnis zu nehmen und
  2. Die Verwaltung zu beauftragen, „die sich aus dem Kindertagesstättenentwicklungsplan ergebenden notwendigen Betreuungsplätze in Krippen und Kindertagesstätten zeitnah zu erstellen.“

Die CDU-Fraktion stellte in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 5. Juni 2020 den Antrag, diesen wichtigen 2. Beschlussteil zu streichen. Der Vorsitzende des zuständigen Sozial- und Kulturausschusses Torben Kruhmann (CDU) begründete diesen verhängnisvollen Antrag für seine Fraktion, der dann tatsächlich gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und trotz der Mahnungen von Bürgermeister Baaß eine Mehrheit fand, u.a. so: „Ein Notstand wie 2018 zeichnet sich nach Meinung der CDU-Fraktion nicht ab. Die CDU-Fraktion beantragt daher, den Beschlussvorschlag Nr. 2 zu streichen und in einem Jahr nochmal über den Kindertagesstättenentwicklungsplan zu beraten.“ Nachzulesen in dem für jedermann öffentlich zugänglichen Protokoll der Sitzung.

Ein weiterer Beschlussvorschlag, in dem es um mögliche Standorte für weitere Kitas gehen sollte, wurde dann folglich von der Tagesordnung gestrichen, obwohl bereits detailliertere Machbarkeitsstudien vorlagen.

Im Herbst 2020 unternahm Bürgermeister Baaß einen weiteren Vorstoß und legte dem Sozial- und Kulturausschuss nochmals einen Beschlussvorschlag vor, wonach die Verwaltung zur Erstellung der notwendigen Betreuungsplätze in Krippen und Kindertagesstätten zeitnah ermächtigt werden solle. In dieser Sitzung des Ausschusses vom 21. Oktober 2020 entwickelte sich ein hitziges Wortgefecht zwischen Bürgermeister Baaß und dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU Jörg Scheidel über das der Südhessen Morgen in einem Zeitungsartikel vom 23. Oktober 2020 berichtete. Baaß wies auf die Verpflichtung der Stadt hin, den Rechtsanspruch der Familien auf Kita-Plätze zu erfüllen. Er drängte auf einen entsprechenden Beschluss des Ausschusses und wies darauf hin, dass er einen „Amtseid geleistet habe, die Vorgaben des Landes zu erfüllen“. Scheidel hielt dagegen: „Viernheim steht bei der Bedarfsdeckung sogar sehr gut da.“ Es kam daraufhin erneut kein Beschluss zustande.

Als nächstes brachte die SPD-Fraktion in der Haushaltssitzung im Dezember 2020 den Antrag ein, im Haushalt 2021 100.000 € an Planungsmitteln für weitere Kita-Plätze aufzunehmen, um den Sachverhalt erneut auf die politische Tagesordnung zu setzen. Erstmals sah in diesem Moment dann auch die CDU-Fraktion die Notwendigkeit weiterer Betreuungsplätze, es war aber kleinere dezentrale Standorte gewünscht, nicht ein zentraler, wie zuvor vorgeschlagen. Um gemäß dieser neuen dezentralen Vorgabe zu Lösungen zu kommen, richtet der Bürgermeister eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe mit Fraktionsvertretern ein, welche mehrmals tagte, auch über die Kommunalwahl im März 2021 hinweg. Deren Ergebnis wurde dann im Juli 2021 beschlossen.

Die Folge von alledem: die Stadt hat mehr als ein wertvolles Jahr bei der Schaffung der so dringend benötigten Plätze verloren. Die im Jahr 2021 endlich freigegebenen Projekte konnten noch nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. Die Leidtragenden sind die heute unversorgten Familien, die bei der Vergabe zunächst leer ausgegangen sind.

Die aktuellen Aktivitäten der Verwaltung sind sehr zu begrüßen. Ergänzend fordern wir zudem die neue Landesregierung von CDU und SPD zu einem eigenen Konzept auf, wie mehr Personal für die Kitas gefunden werden kann. Die Viernheimer Strategie, angestoßen durch einen Antrag der SPD-Fraktion, gibt mit Blick auf zugewandte Fachkräfte und eine deutliche Erweiterung von Qualifizierung und Ausbildung gute Hinweise. Auch auf Landesebene muss es Veränderungen geben, sonst steht die örtliche Ebene mit fertiggestellten Bauprojekten da, aber ohne Personal.

 

Daniel Schäfer

SPD-Fraktionsvorsitzender