Der heimliche Atheismus der christlichen Kirchen

Es geht im Folgenden um die christlichen Kirchen, um deren Führung, die völlig kritiklos jede Drehung der weltlichen Coronapolitik und der Wissenschaft mitgemacht und dabei fundamentale religiöse Inhalte über Bord geworfen hat. Und zwar so selbstverständlich über Bord geworfen, oft schon im vorauseilenden Gehorsam, dass sich der Verdacht aufdrängt, der Glaube an Gott habe sich längst verflüchtigt.

Wie andere Religionen das Problem „Corona und Befolgen der weltlichen Politik“ angingen – das ist hier nicht Thema.

Die Natur der Wissenschaft ist dicht

Wenn eine Billardkugel a auf eine ruhig daliegende Billardkugel b trifft, dann lehrt die Wissenschaft, dass a ihren Impuls und ihre Energie vollständig auf b überträgt.  

Allgemein gesprochen: Die Ursache eines Naturprozesses (hier der Aufprall von a) übergibt alles Verursachende, was sie in sich hat, ihrer Wirkung (hier der Bewegung von b).

Alle Vorgänge in der Natur werden natürlich-kausal erklärt: Außernatürlichem oder Übernatürlichem oder sonst wie Geistigem erlaubt die moderne Naturwissenschaft keine Eingriffe in die Abfolge von Ursache und Wirkung: Die Natur ist dicht.

Und da der Mensch, sein Wollen und Handeln, auch Teil der Natur sind, sind alle Prozesse, die den Menschen einschließen, ebenfalls dicht.

Die Dichtheit der Natur: eine Annahme

Auf diesem Konzept der natürlichen Kausalität beruht die moderne Naturwissenschaft. Die Behauptung der Dichtheit der Natur ist selbst keine Naturerkenntnis, sondern eine Annahme, die sehr erfolgreiche Erklärungen und wissenschaftliche Folgen, die Technologien, nach sich gezogen hat.

Da die Annahme aber selbst keine Erkenntnis ist, muss sie nicht wahr sein. Sie ist eine willkürliche Setzung. Andere Naturerklärungen sind durchaus möglich, und die meiste Zeit der Geistesgeschichte hindurch erklärte man sich auch tatsächlich Naturprozesse anders, indem man es eben für ganz selbstverständlich hielt, dass Außernatürliches, Übernatürliches, Geistiges und Dämonisches in der Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung mitmischten.

Die Offenheit der Natur

Diese Zeiten wurden von den Religionen dominiert, denn Religionen gehen davon aus – und das ist eine Grundannahme jeder Religion –, dass Göttliches in jedem Moment in Naturprozesse und ihre Ursache-Wirkung-Verknüpfungen eingreifen kann. Während der religiösen Epochen gilt die Natur also nicht als dicht. Es herrscht zwar immer noch die Kausalität – dass alles über Ursache und Wirkung verknüpft sei –, aber es herrscht keine natürliche Kausalität.

Als dann die modernen Wissenschaften auf den Plan traten, traten die Religionen wegen des riesigen Erfolgs der Technologien, der praktischen Umsetzungen der Wissenschaften, den Rückzug an.

Wissenschaft statt Religion

Die Religionen leben – im direkten Gegensatz zum wissenschaftlichen Weltbild – davon, dass sie den Eingriff von Göttlichem in die Natur annehmen. Ansonsten wären Bittgebete, Fürbitten und das religiöse Ritual gar nicht denkbar:

„Dein Wille geschehe …“ macht nur Sinn, wenn es keine strikte Trennung zwischen einer transzendenten Sphäre des Göttlichen und der natürlichen Sphäre gibt.

„Unser tägliches Brot gib uns heute …“ erbittet Gottes Hilfe und Einwirken aus dem Jenseits ins Diesseits.

„Dein Reich komme …“ ist nur sinnvoll, wenn die Naturgeschichte offen ist für himmlische Zielsetzungen bzw. das Himmelreich offen für den Menschen.

Diese Grundannahme der christlichen Religion über die Offenheit der Natur gegenüber Jenseitigem ist zwar nur eine Annahme, aber auch die These der Naturwissenschaften, Natur sei dicht, ist nur eine Annahme. Die Naturwissenschaft ist bislang einfach nur erfolgreicher gewesen – und dies auch nur gemessen an ihren (sehr fragwürdigen) Erfolgskriterien.

Ein weiterer Grund dafür, dass die Wissenschaften die Religionen verdrängen, liegt darin, dass Erstere den Menschen ein erfolgreicheres Rezept gegen die elementare Angst vor der willkürlichen und unberechenbaren Natur gegeben haben. Um dem religiösen Menschen diese Angst zu nehmen, kann die Religion allein auf das Gottvertrauen setzen, das Vertrauen, dass Gott, wenn er nur um Hilfe gebeten werde, schon im Sinne des Bittenden in Natur und Geschichte eingreifen und die Natur in einem vernünftigen Sinne zusammenhalten und lenken werde.

Gottvertrauen bildet also ein fundamentales Element jeder Religion.

Womit wir zu Corona kommen.

Corona und die christlichen Kirchen

Dieses fundamentale Element ließe sich so formulieren: Wenn man einen Gott hat, dann wird man ihm vertrauen. Dann wird man zu ihm beten und darauf vertrauen, dass er, in die Lebenspraxis eingreifend, alles zum Guten wenden wird.

Daraus folgt der Umkehrschluss: Wenn man nicht mehr vertraut und sein Grundvertrauen auf anderes richtet, dann hat man auch keinen Gott – oder der Gott existiert zwar, spielt aber für das Diesseits keine Rolle mehr.

Was nun während der Coronaepidemie besonders ins Auge fiel, war das sonderbar kritiklose kirchliche Befolgen aller Vorgaben der weltlichen Politik und ihrer wissenschaftlichen Berater. Die Kirchen erhofften alles Heil von der Wissenschaft und deren Erkenntnissen. Die Kirchen vertrauten und vertrauen voll und ganz der Wissenschaft, nur der Wissenschaft!

Daraus folgt, dass die christlichen Kirchen das Konzept der natürlichen Kausalität und der Dichtheit der Natur übernommen haben. Man verzichtete – weil es Politik und Wissenschaft so forderten – auf die Rituale, vor allem auf das gemeinsame Gebet und seine Grundlegung durch die Eucharistiefeier. Eucharistie und gemeinsames Beten sind aber die einzigen religiösen Mittel der Gläubigen, um der Offenheit der Natur gegenüber dem Jenseits zu begegnen und das eigene Gottvertrauen zum Ausdruck zu bringen und zu leben.

Indem die Kirchenführung diese Mittel einfach dem Glauben an die natürliche Kausalität opferte und das wissenschaftliche Konzept der Dichtheit der Natur übernahm, zeigte sie: Wir vertrauen den Naturgesetzen, nicht mehr Gott. Und – so der Umkehrschluss oben –: Wer nicht auf Gott vertraut, hat keinen Gott mehr – oder er hat einen Gott, der für das Diesseits keine Rolle mehr spielt, der vielleicht irgendwann die Welt geschaffen, sich dann aber zurückgezogen hat.

 

Bernd Lukoschik