Hase-und-Igel-Prinzip – die Tagesschau ist immer schon da

Die Tagesschau hat im Durchschnitt pro Tag 9,5 Millionen Zuschauer. Sie ist also die herrschende Meinungsmacht bei uns. Zudem bestimmt sie mithilfe dieser Macht, was und wie in ihrem Gefolge die übrigen Medien ihren Lesern präsentieren müssen. Von Meinungsvielfalt kann bei uns also nicht im Geringsten die Rede sein!

Umso mehr Grund, wieder einmal auf das Umgehen der Tagesschau mit dem Hauptproblem der Gegenwart zu schauen. Etwa auf den Artikel vom 16.7.2020: „Genesen heißt nicht geheilt“, in dem über Corona-Langzeitfolgen berichtet wird. Wobei „berichtet“ das falsche Wort ist, wie sich im Folgenden erweisen wird.

Des Prinzips erster Teil: Hase Wissenschaft „ist noch nicht da“

Im dritten Abschnitt des Artikels wird ganz offen gesagt: „Welche dieser Folgen dauerhaft bleiben könnten, wird gerade untersucht.“ Es sind „diffuse Hirnschädigungen“ aufgetreten, „Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten“. „Solche Patienten können verwirrt sein …“, es sind Schäden, die auch langfristig andauern „können“, „vermutet der Neurologe“. „Gerade das zentrale Nervensystem scheint häufiger betroffen zu sein.“ Auch „können“ Lähmungen bleiben.

Was die Wissenschaft weiß, spiegeln die Wörter „scheinen“, „können“, „vermuten“, „diffus“, „wird gerade untersucht“: also nahezu nichts.

Hinzu kommt: Man weiß nur um Korrelationen. Dort wo coronapositiv getestet wurde, traten zugleich auch manchmal solche Folgen auf, Folgen, die auch bei anderen Krankheiten auftreten. Es wäre also noch zu beweisen, dass diese Korrelationen ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis zwischen Virus und Krankheit widerspiegeln.

Von einer solchen Erkenntnis ist man meilenweit entfernt, unter anderem weil man noch nie das Coronavirus isoliert hat, daher auch nicht seine biochemische Zusammensetzung kennt, weswegen man auch nicht beobachten konnte, welche Krankheitssymptome nachvollziehbar aus ihm entspringen. Die Wissenschaft ist auf der Suche.

Des Prinzips zweiter Teil: Igel Medien „ist schon da“

Was die Wissenschaftler noch nicht wissen, weiß die Tagesschau! „Eine Corona-Erkrankung kann erhebliche Spätfolgen haben“, wird vollmundig direkt zu Beginn getönt. Wo doch eine Erkrankung durch Corona überhaupt erst nachzuweisen wäre! Wo doch Corona selbst als Ursache von Covid-19 erst nachzuweisen wäre! Von Covid-19, das sich bislang durch keine spezifische Symptomatik auszeichnet, auch wenn von Geschmacks- und Geruchsverlust in manchen Fällen die Rede ist, bei diffusen 80%! Wer hat eruiert? Und 20% haben sie immerhin nicht!

Erstens also nur in manchen Fällen, zweitens, wer hätte bei einer starken Grippe oder einem grippalen Infekt nicht schon zeitweiligen Geschmacks- und/oder Geruchsverlust gehabt oder ihn sich eingebildet – und auch das, Realität oder Einbildung, ist schwer zu unterscheiden!

Immerhin ist die Tagesschau so bescheiden und spricht von „kann“. Aber die einleitenden Sätze über den Krankheitsverlauf bei Karoline Preisler sind schon sehr stark in Richtung „Corona ist die Ursache“ formuliert: Sie „hat sich im März mit dem Coronavirus infiziert. Jetzt, vier Monate nach ihrer Genesung, kann sie zwar wieder gut atmen, doch gesund ist sie nicht“. Unausgesprochen liest jeder heraus – und das soll ja wohl auch so sein –: Das Coronavirus ist die Ursache ihrer Krankheit, die Krankheit ist eine besonders schlimme, denn sie hat vier Monate gedauert, und sie ist immer noch nicht gesund, mit sonderbaren Folgen!

Eine Aussage im Bericht, deren Selbstverständlichkeit durch die zurzeit stattfindenden wissenschaftlichen Untersuchungen nicht gestützt wird.

Aber wie gesagt: Der Igel ist schon da! Immer schon wissen die Medien im Voraus, was die Wissenschaft erst noch erkennen soll. Die große Gefahr bei diesem prophetischen Wissen der Medien ist – da man die Medienmacht einkalkulieren muss –, dass die Wissenschaft sich vielleicht bemüßigt und gedrängt fühlen wird, den Erwartungen der Medien entgegenzukommen.

 

Bernd Lukoschik