Grundrechtseinschränkungen – wirklich notwendig?

Die neue Normalität der Angst

Seit Längerem schon und immer von Neuem wird davor gewarnt, nur ja nicht die Einschränkungen der Grundfreiheiten in Gesellschaft und Wirtschaft rückgängig zu machen. Dies mit der Begründung: Kehre man zur Normalität vor Corona zurück, so werde das die Neuinfektionszahlen wieder ansteigen lassen. Mehr noch, man müsse alles tun, die Neuinfektionen unter allen Umständen mit solchen Maßnahmen niedrig zu halten, um eine zweite Infektionswelle zu verhindern. Viele gehen sogar davon aus, dass eine neue Infektionswelle auf jeden Fall kommen werde. Die Freiheitseinschränkungen könnten eine solche zweite Welle immerhin niedriger halten, um zu helfen, dass die Krankenhauskapazitäten nicht überlastet werden.

Das renommierte Massachusetts Institute of Technologie MIT gab gar an (MIT Review: We are going back to normal), es würde nicht nur eine weitere Infektionswelle folgen, sondern noch eine dritte, vierte … Wir müssten uns also in einer neuen Normalität im Rahmen von Corona einrichten, die Freiheitseinschränkungen würden in einem gewissen Maße also aufrechterhalten werden, Angst würde zu einer Dauerbefindlichkeit – bis ein Impfstoff entwickelt sei.

Dieses Szenario einer neuen Seuchennormalität beruht auf der Voraussetzung, dass es die Grundfreiheitseinschränkungen waren, die eine Abnahme der Neuinfektionszahlen verursachten.

Das ist aber sehr fraglich. Der Regensburger Professor Christof Kuhbandner, Lehrstuhl für Humanwissenschaften, legte eine kritische Studie zur RKI-Statistik vor (s. Quelle), in meinen Worten kurz zusammengefasst:

Der beobachtete starke Anstieg der Neuinfektionen beruht auf der Tatsache, dass die Zahl der Tests stark angestiegen ist. Die Zunahme der Zahl der Tests besagt aber nicht, dass auch die Neuinfiziertenzahl zunimmt. Es gab also nie eine exponentielle Ausbreitung der Coronaviren. Nur einen exponentiellen Anstieg der Tests. Um zur Kenntnis der tatsächlichen Neuinfiziertenzahl zu kommen, muss erst das Datenmaterial statistisch-methodisch aufgearbeitet werden, was Kuhbandner in seiner Studie dann auch tut.

Gemäß der RKI-Statistik gingen mindestens ab dem 3. April die Neuinfektionszahlen zurück. Die massiven Grundrechtseinschränkungen wurden mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März beschlossen. Also, so der übliche Schluss, sei der Rückgang der Neuinfektionszahlen ab dem 3. April von den harten Maßnahmen verursacht. Diese Maßnahmen seien also notwendig gewesen, um die Neuinfektionszahlen hinunterzudrücken.

Nun beruht, so Kuhbandner, die RKI-Statistik, die auf den 3. April kommt, auf den „Meldedaten“ der Coronafälle bei den Gesundheitsämtern. Der Meldetag ist aber nicht der Tag der Ansteckung. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Ansteckung mehrere Tage zuvor stattfand, dass dann Tage vergehen, bis sich Symptome zeigen, bis der Patient, nachdem er noch einige Zeit mit den Symptomen zugewartet hat, seinen Arzt aufsucht, bis dann die Testergebnisse vorliegen und schließlich vom Gesundheitsamt verarbeitet werden – dann verschiebt sich der Tag des Rückgangs der Neuinfektionen, so Kuhbandner, vom 3. April auf den 13./14. März. Das heißt, der Rückgang der Infektionszahlen hat bereits vor den Freiheitsbeschränkungen und dem Herunterfahren der Wirtschaft eingesetzt – und wurde nicht von diesen verursacht.

Professor Kuhbandners Folgerung hinsichtlich der Rechtfertigung der Einschränkungsmaßnahmen: „Nach der genaueren methodischen Betrachtung dieser Zahlen wird sehr klar, dass keine der ergriffenen Maßnahmen wirklich wissenschaftlich begründet werden kann.“

Wenn aber die Neuinfektionszahlen bereits ab 13./14. März 2020 rückläufig waren, und dies ohne vorherige harte Beschränkungen nach dem neuen Gesetz, warum sollte ein zweite Welle kommen? Warum sollten die Zahlen wieder steigen, und zwar wieder exponentiell, wie Dr. Drosten behauptet, wenn die Maßnahmen gelockert würden? Die Maßnahmen waren doch bereits zuvor nicht nötig gewesen, um die Zahlen herabzudrücken. Die Zahlen gingen zurück, bevor die Maßnahmen einsetzten! Ein Neuanstieg wäre nur zu befürchten, wenn nachweisbar wäre, dass das Coronavirus ein Virus völlig neuer Qualität wäre, dem es eigen wäre, immer neue Infektionswellen nach sich zu ziehen. Meines Wissens wurde ein solcher Nachweis bisher nicht geliefert!

Bei aller Unsicherheit, wie die Epidemie und deren Verlauf einzuschätzen sind: Kuhbandners Überlegungen sollten auf jeden Fall in die Überlegungen der Politik eingehen – und der Leser kann mit einiger Sicherheit annehmen, dass es keine beweisbare Notwendigkeit einer zweiten Infektionswelle gibt und der Einstieg in die vorcoronäre Normalität gefahrlos möglich ist: Angst und Panik sind nicht angesagt. 

(Quelle: Christof Kuhbandner, Von der fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Corona-Maßnahmen, 25. April 2020)

 

Bernd Lukoschik