Foto: Amelie 10. Klasse
Foto: Lisa-Marie 8.Klasse

Weinheim (Stadt Weinheim) –  Judith Iwanowitsch ist eine erfahrene Schulsozialarbeiterin, aber die Corona-Zeit, verbunden mit einem weitgehenden Schul-Lockdown, ist auch für sie emotional sehr bewegend. Eine Schülerin der Friedrich-Schule hatte für den Religionsunterricht zum Thema „Wie geht es mir in der aktuellen Situation?“ ein Bild gemalt, um ihre Gemütslage zu beschreiben: es zeigt ein Mädchen, das sich weinend an der Wand abstützt. In der großen Sprechblase steht nur ein Wort: Verzweiflung. „Dieses Mädchen ist keine Ausnahme“, sagt Judith Iwanowitsch und die anderen Schulsozialarbeiterinnen des Amtes für Bildung und Sport stimmen ihr zu.

Die Corona-Pandemie hat die Schulen und damit die Schülerinnen und Schüler in eine emotionale Ausnahmesituation versetzt. Die Sozialarbeiterinnen, die sich in Weinheim an den Schulen um Kinder und Jugendliche kümmern, stehen damit ebenfalls vor großen Herausforderungen. Viele Familien sind zuhause überfordert, Schüler zeigen Symptome „psychischer Probleme bis zum Herzrasen“, schildert Yodit Ghebray, die Schülerinnen und Schüler am Werner-Heisenberg-Gymnasium betreut. Auch Eltern in gut bezahlten Jobs sind von Sorgen um den Arbeitsplatz geplagt, einige sind selbstständig, stehen unter Stress, hetzen zuhause von einer Online-Konferenz zur nächsten, während sie ihr Kind im Home-Schooling betreuen müssen.

Überhaupt: Viele Kinder und Jugendliche nehmen Corona auch außerhalb der Schule als Bedrohung wahr. Viele sorgen sich zum Beispiel um Oma und Opa; einige haben ihre Großeltern schon Monate nicht mehr in den Arm genommen aus Angst, sie könnten sie anstecken. „Viele Jugendliche sind auch mit der neuen häuslichen Situation überfordert“, berichtet Marie Mayer von der DBS-Werkrealschule.

In den Realschulen sorgen sich die Zehntklässler, ob sie angemessen auf die Abschlussprüfung vorbereitet sind. Die Abiturienten befürchten, man könnte ihren Jahrgang als „Abitur zweiter Klasse“ abstempeln. Existentielle Gedanken machen sich sogar schon Acht- und Neuntklässler, beschreibt Perpetua Emig von der Johann-Sebastian-Bach-Schule. Vor Corona war es üblich, dass in diesen Klassenstufen ein Praktikum bei einem Betrieb absolviert wurde, als erste Berufsorientierung. Im Moment werden aber keine Praktika angeboten. Auch die Zahl der Ausbildungsplätze hat stark abgenommen. „Die Zukunft macht jetzt einigen Jugendlichen Angst“, beschreibt Judith Iwanowitsch.

Ihre Schilderung zeigt: Die Pandemie belastet Schüler aller Schulformen, jeweils anders – aber stets gravierend.

Alle Schulsozialarbeiterinnen kämpfen nun noch mehr als sonst an der Front der Bildungsgerechtigkeit. „Die Schüler“, beschreibt Nicola Kiel, die an Grundschulen arbeitet, „die sich zuvor schon mit produktiver Freizeitgestaltung schwergetan haben, sind natürlich noch schwerer zu motivieren“. Sie sitzen zuhause, spielen mit dem Computer „bis hin zum Suchtverhalten“. Die Sportvereine sind ja auch geschlossen, Freunde treffen ist schwierig. Jugendliche berichten, dass sie Konfrontationen und Anschuldigungen ausgesetzt sind, wenn sie zu zweit – die Hygieneregeln einhaltend – in der Innenstadt sind. „Unterstützen statt anklagen“ lautet die Aufgabe der Schulsozialarbeit.

Auch wenn es schwerer geworden ist, die Schulsozialarbeiterinnen halten den Kontakt zu ihren Kindern und Jugendlichen, auch online, am Telefon oder bei einem Spaziergang, wie zum Beispiel Jasmin Dähler aus der DBS-Realschule berichtet. Insgesamt habe der Beratungsbedarf – auch der Eltern – in der Pandemie deutlich zugenommen. Aber: „Wir können viele Kinder auffangen“, berichten Lisa Klink und Barbara Oeldorf.

Manchmal helfen sie auch ganz konkret und unbürokratisch, wenn zum Beispiel ein Junge aus einer sechsköpfigen Familie beim Home-Schooling ständig gestört wird. Ein paar Kopfhörer, schnell besorgt, schafften Besserung.

Interessant: Alle Schulsozialarbeiterinnen berichten, dass die Kinder und Jugendlichen

sobald es geht, wieder zur Schule gehen wollen, unbedingt. „Die Schule ist eben ein Ort der Verlässlichkeit und der sozialen Kontakte“, findet Jenny Halfpap, die aber auch positive Auswirkungen mitbekommen hat. Vor allem in den Kleingruppen der Notbetreuung hätten einige Schüler sogar Fortschritte gemacht. Unisono brechen sie übrigens eine Lanze für die Lehrerinnen, Lehrer und Schulleitungen, die sich sehr engagiert um ihre Kinder kümmern. Die Netzwerkarbeit am Bildungsstandort Weinheim, auch mit dem Bildungsbüro, der Jugendagentur Job Central und anderen funktioniere gut und helfe in der schwierigen Zeit.

Wie auch Bildungsamtsleiterin Carmen Harmand sprechen sich die Schulsozialarbeiterinnen übrigens für eine vorsichtige Öffnung der Schulen aus. Sie hätten längst einen Stufenplan zur Wieder-Eröffnung erwartet. Vielleicht könne man ja auch Lehren aus der Krise ziehen, wünscht sich Marie Mayer. Dass die Politik zum Beispiel das Thema Bildungsgerechtigkeit noch mehr in den Fokus rücke, dass die Arbeit der Lehrer besser geschätzt wird und dass Schulen mit einer Mischung aus verschiedenen Beschulungsformen durchaus umgehen können. Die Chance zu Veränderungen im Bildungssystem, sie liege jetzt auf der Hand.