Sehr geehrte Frau Pfister,

 

mit Interesse habe ich Ihren Leserbrief und auch weitere gelesen. Sie bringen darin ihre private Sicht auf den Sachverhalt zum Ausdruck.

 

Nun möchte ich gerne darlegen, welche Verantwortung Menschen an der Stadtspitze als Bürgermeister, 1. Stadtrat oder auch als Mitglied des Magistrats wahrzunehmen in der Pflicht sind, also nicht als Privatperson.

 

Seit Jahren beobachte ich, dass die Rücksichtslosigkeit beim Abstellen von Fahrzeugen im öffentlichen Raum, für den ein Bürgermeister Verantwortung trägt, zunimmt. Ganz sicher nicht von allen Bürgern, aber von einer zunehmenden Anzahl. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass das Falschparken einer Person geradezu weitere Personen zum gleichen Handeln einlädt.

 

Wird ein solches verbotenes Parken von der Polizei geahndet, erfolgt in aller Regel sofort der Hinweis: „Warum ich, warum nicht der?“, verbunden mit dem Verweis auf weitere Fahrzeuge, die auch nicht regelkonform abgestellt seien. Also bleibt nichts anderes übrig, als alle in einer Straße zu verwarnen.

 

Was wiederum Reaktionen auslöst: „So parken wir hier schon lange, was soll das jetzt?“ Wenn dann auf auch in Viernheim geltende Regeln der Straßenverkehrsordnung hingewiesen wird, ist die nächste Frage: „Und wo soll ich mein Auto parken?“

 

Im öffentlichen Raum unserer Stadt gibt es eine Vielzahl von Parkmöglichkeiten, die allgemein zur Verfügung stehen. In aller Regel über viele Jahre bewusst geschaffene Möglichkeiten, manchmal bieten sich auch zusätzliche Gelegenheiten. In dem einen Stadtgebiet gibt es mehr dieser Möglichkeiten, in einem anderen weniger. Das wiederum liegt daran, dass es für eine Stadt keine Verpflichtung gibt, für solchen allgemeinen Parkraum zu sorgen. Eine solche Pflicht obliegt zu allererst dem oder der Halter/in eines Fahrzeugs. Wenn ich ein Fahrzeug kaufe, muss ich auch überlegen. „wo stelle ich es ab?“ Und damit diese Stellplatzfrage auch beim Bau oder Umbau eines Gebäudes eine Rolle spielt, gibt es eine Stellplatzsatzung, die dem privaten Eigentümer mit seiner Baugenehmigung vorgibt, wie viele Stellplätze auf seinem privaten Grund zu schaffen sind.

 

In meinem Amt stelle ich fest: zunehmend zugeparkte Straßen; Gehwege, die von jenen, die sie brauchen, nur noch schwer nutzbar sind; Garagen, in denen alles steht, nur kein Auto; Stellplätze, die nicht gebaut wurden.

 

Bei der im letzten Jahr durchgeführten repräsentativen Bürgerumfrage „Leben im Alter“ wird das Gehwegparken am meisten als Problem und als Einschränkung der persönlichen Mobilität im Alter benannt. Immer wieder Hinweise aus der Bevölkerung an mich: „die Kinder können kaum noch auf dem Gehweg Fahrrad fahren, es ist so eng, dass Kratzer an Fahrzeugen wahrscheinlich werden.“ Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator sagen mir: „ich muss auf der Straße laufen und dann fährt noch ein Auto viel zu schnell an mir vorbei.“

 

Zudem sehe ich, dass es nicht wenige ebenso enge Straßen in unserer Stadt gibt, in denen es schon seit vielen Jahren völlig normal ist, dass nur auf einer Seite der Straße und auch nur in markierten Bereichen geparkt wird. Straßen, in denen auch viele Menschen wohnen, in denen aber der Gehweg allen, die ihn nutzen sollen und wollen, tatsächlich zur Verfügung steht.

 

Und gleichzeitig ist mir bewusst, dass sich dieses Problem nicht einfach lösen lassen wird, es ist kaum etwas emotionaler, als wenn man versucht, beim Thema Auto langjährig geduldetes und damit normal gewordenes Verhalten zu ändern.

Und: mir schreiben Bürger und machen mich auf die bestehende Rechtslage gemäß Straßenverkehrsordnung aufmerksam (diese ist so eindeutig wie eine rote Ampel) und ob wir da in Verantwortung nicht endlich mal etwas tun wollen.

 

Aufgrund all dessen haben wir uns überlegt, wie wir schrittweise in einer Form handeln können, die es jedem erlaubt, sein Verhalten Schritt für Schritt anzupassen:

  • eine lange Vorlaufzeit mit Informationen
  • kein rigoroses Umsetzen der in Deutschland gültigen Regeln, eine Breite von 1,30 Meter als Kompromiss der unterschiedlichen Interessen
  • das bewusste Setzen auf das eigene Handeln der Bürgerschaft, indem die Thematik bewusst gemacht wird.

 

Hinzu kommt, dass sich mit dieser Situation, die wahrlich nicht nur in Viernheim sichtbar ist, nunmehr auch die Gerichte beschäftigt haben, bis hin zum maßgebenden Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat den Stadtverwaltungen „ins Stammbuch geschrieben“, dass sie beim Gehwegparken nicht wegschauen dürfen. Man dürfe sehr wohl nach einem Konzept Schritt für Schritt handeln, weil nicht alles gleichzeitig angepackt werden könne, aber handeln müsse man.

 

Damit ist auch rechtlich ein klares Zeichen gesetzt, das wir versucht haben, mit unserem Konzept aufzunehmen. In Kenntnis der vielen unterschiedlichen Interessen, die von der Bürgerschaft nicht zuletzt bei offiziellen Gesprächsterminen mit Anwohnern von Wald- und Friedrichstraße oder auch in weiteren Gesprächen zum Ausdruck gebracht wurden.

 

Das Innehaben von Verantwortung beinhaltet auch das Treffen von Entscheidungen bei Vorliegen unterschiedlichster Interessenlagen und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben. Dass eine solche in öffentlicher Verantwortung getroffene Entscheidung nicht jedem Einzelnen gefällt, ist klar.

 

Ihr

Matthias Baaß

Bürgermeister