Fakten zählen mehr als Vermutungen – und Demokratie ist mehr als Stimmungsmache

Sehr geehrter Herr Theymann,

 

Ihr jüngster Leserbrief zur Zukunft des alten Rathausstandorts enthält eine Vielzahl unbelegter Behauptungen, Vermutungen und inszenierter Empörung – allerdings kaum belastbare Fakten. Damit leisten Sie nicht nur der öffentlichen Diskussion einen Bärendienst, sondern beschädigen bewusst das Vertrauen in demokratisch legitimierte Verfahren.

 

Wer so schreibt, wie Sie es tun, blendet bewusst die Wirklichkeit, das geltende Verfahren und die Prinzipien unserer kommunalen Demokratie aus. Wer sich ernsthaft für die Entwicklung unserer Stadt einsetzt, sollte korrekt wiedergeben, worüber entschieden wird.

 

  1. Beteiligung der Stadtgesellschaft wird in Frage gestellt – obwohl sie klar vorgesehen ist

Sie behaupten, Beteiligung sei „nur im Wesentlichen durch Informationen“ vorgesehen. Diese Aussage ist falsch und widerlegbar. Im offiziellen Gutachten zur Entwicklung der Neuen Mitte, das öffentlich einsehbar ist, heißt es unmissverständlich:

 

„Sinnvollerweise findet eine Beteiligung vor oder während der Erstellung der Wettbewerbsauslobung statt. Substanzielle Anregungen der Bürger zu den Auslobungsinhalten werden in den Auslobungstext aufgenommen.“
(Anlage Abschlussbericht „Neue Mitte – Viernheim“, S. 7)

 

Damit ist klar: Die Beteiligung ist inhaltlich eingebunden, zeitlich sinnvoll verankert und verbindlich im Verfahren vorgesehen. Noch vor Beginn des Wettbewerbsverfahrens gibt es die Möglichkeit, Ideen und Anforderungen einzubringen.

 

Eine solche Behauptung erweckt den Eindruck mangelnder Kenntnis des Verfahrens – oder einer bewussten Fehldarstellung.

 

  1. Sie konstruieren Vorentscheidungen, wo keine getroffen wurden

Sie schreiben: „Eigentlich steht das Ergebnis des Verfahrens schon fest.“ Diese Aussage ist nachweislich unzutreffend. Weder liegt eine Auslobung vor, noch ist eine Entscheidung zur Nutzung oder Grundstücksvergabe getroffen. Im Gegenteil: Der Grundsatzbeschluss, der am 27. Juni durch die Stadtverordnetenversammlung gefasst werden soll, betrifft den Verfahrensstart – nicht das Ergebnis. Alles Weitere ergibt sich Schritt für Schritt im offenen Verfahren bzw. lernenden Prozess.

 

Sie stellen mit Ihrer Formulierung nicht weniger als eine Spekulation ohne Grundlage in den Raum – ohne jeden Beleg. Das ist nicht Politik, sondern reine Stimmungsmache.

 

  1. Kommunale Demokratie lebt vom Dialog – nicht von Pauschalkritik

Sie tun so, als müsse die Bürgerschaft nicht nur mitdiskutieren, sondern letztlich direkt entscheiden, was mit dem Gelände geschieht.

 

Damit verkennen Sie grundlegend, wie unsere Demokratie funktioniert: In der kommunalen Selbstverwaltung entscheiden die gewählten Vertreterinnen und Vertreter in der Stadtverordnetenversammlung auf Basis eines öffentlichen, geordneten Prozesses. Dieses Prinzip nennt sich repräsentative Demokratie. Sie sichert Verlässlichkeit, Ausgleich von Interessen und Transparenz.

 

Wer – wie Sie – Entscheidungen der gewählten Gremien schon vor Beginn eines Beteiligungsverfahrens öffentlich delegitimiert, der schwächt das Vertrauen in demokratische Prozesse und gefährdet den sachlichen Dialog.

 

  1. Gute Ideen sind willkommen – und sollen aktiv in den Prozess einfließen

Sie zählen eine Vielzahl von Ideen auf: Stadtpark, Seniorenwohnen, Co-Working-Spaces, Begegnungsstätten. Gut so! Genau diese Ideen sind es, die in den Bürgerbeteiligungsprozess eingespeist werden sollen. Der Wettbewerb ist bewusst als offener städtebaulicher Ideenwettbewerb konzipiert – mit Raum für kreative und gemeinschaftliche Konzepte. Im Gutachten steht:

 

„Der Planungswettbewerb garantiert eine maximale Vielfalt an möglichen Lösungen.“ „Um ein Maximum an Ideen zu erlangen, wird empfohlen den Wettbewerb als Offenen städtebaulichen- und freiraumplanerischen Ideenwettbewerb durchzuführen. „Die Kunst ist es, die Bürgerschaft zum richtigen Zeitpunkt einzubeziehen und bürgerschaftliche Mitbestimmung und Planung auf Augenhöhe zusammen zu bringen.“ (S. 6–7)

 

Was Sie jedoch verschweigen: Ihre Aufzählung enthält nichts, was nicht auch im Rahmen der künftigen Wettbewerbsverfahren denkbar oder sogar vorgesehen ist. Warum also der Versuch, eine Bürgerbeteiligung, die bisher noch nicht mal gestartet ist, künstlich zu diskreditieren?

 

  1. Verfahrenskosten? Ja – aber für Qualität, Transparenz und Mitsprache

Sie empören sich über die geschätzten Verfahrenskosten von rund 700.000 Euro. Dabei ignorieren Sie bewusst: Diese Summe verteilt sich auf mehrere Jahre, deckt Planungsleistungen, Wettbewerbskosten, Bürgerbeteiligung, Qualitätssicherung und Bebauungsplanung ab. Das ist notwendig, um eine tragfähige, breit akzeptierte Lösung für einen zentralen Innenstadtstandort zu entwickeln. Wer an dieser Stelle spart, riskiert deutlich höhere Folgekosten. Ganz nach dem Motto: Gute Planung kostet – schlechte Planung kostet mehr.

 

Leserbriefe können ein wichtiger Beitrag zur öffentlichen Debatte sein – vorausgesetzt, sie beruhen auf überprüfbaren Fakten. Wer politische Verantwortung übernehmen will, sollte deshalb auf konstruktive Kritik und sachliche Argumente setzen. Ich stehe zu einem Verfahren, das transparent, demokratisch legitimiert und fachlich begleitet ist – und das ausdrücklich auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger baut.

 

Dass Sie dieses Verfahren öffentlich verunglimpfen, ist mehr als durchsichtig. Der Kommunalwahlkampf hat begonnen – aber bitte nicht auf Kosten der Wahrheit und nicht auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrlichen Herzens engagieren wollen.

 

Fazit

Es geht nicht darum, Kritik zu verhindern – im Gegenteil: Sie ist willkommen. Aber sie sollte auf Fakten beruhen, nicht auf Vorurteilen. Wer sich konstruktiv einbringen möchte, ist eingeladen, sich am Verfahren zu beteiligen. Dafür schaffen wir Formate, Anlässe und Beteiligungsmöglichkeiten – im Sinne einer Stadtentwicklung, die gemeinsam gelingt.

 

Das tatsächliche Vorgehen wird als Vorlage in der öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Energie, Bauen (Stadtentwicklung, Agenda 21) am Dienstag, 24. Juni, um 19:00 im Ratssaal des Alten Rathauses vorgestellt und besprochen. Auch das ist eine Gelegenheit, sich fundiert zu informieren.

Deshalb rufe ich die Bürgerschaft dazu auf: Lassen Sie sich nicht entmutigen!

 

Bringen Sie sich ein – informiert, konstruktiv, im Dialog. Es lohnt sich für unsere Stadt.

 

Jörg Scheidel

Erster Stadtrat