Lesung für den Hospizverein Viernheim mit der Palliativschwester Dorothea Mihm – Am Ende zählt der Mensch
Viernheim (Wencke Stülpner) – Am 11. Oktober 2018 fand in der Kulturscheune die Lesung „Die sieben Geheimnisse guten Sterbens“ statt. Palliativschwester Dorothea Mihm hat ihr Leben der Aufgabe gewidmet, Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Ängste nehmen, dem Sterbenden zugewandt dessen Würde und Lebensqualität bis zuletzt erhalten, ist die Aufgabe von Menschen, sie sich in Hospizvereinen und in Palliativstationen um unheilbar kranke und sterbende Menschen kümmern. Diese Zeit ist für Patienten, Angehörige, Freunde und auch für die Pflegekräfte häufig eine Zeit der Verunsicherung, Scheu und Hilflosigkeit. „Man kann dem Moment des Sterbens aber auch ohne Angst entgegentreten“, sagt Dorothea Mihm, Autorin des Buches „Die sieben Geheimnisse guten Sterbens“, und seit über 25 Jahren, in der Kranken- und Palliativpflege tätig.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist uns durch die Veränderung unseres Gesellschaftssystems und unserer Erziehung, sowie durch den Fortschritt in der Medizintechnik sehr viel Intuition, Urvertrauen und gesunder Menschenverstand verloren gegangen. Das hat zur Folge, dass die Versorgung schwerstkranker, komatöser oder sterbender Menschen aus Angst vor Schmerzen an Medizin(-Technik) und palliative Sedierungen „abgegeben“ wird.
Was machen wir mit Menschen, die nicht mehr leben, aber auch (noch) nicht sterben können? Dorothea Mihm hat im Laufe ihrer Arbeit als Intensivkrankenschwester Impulse gesucht, wie sie als Pflegekraft Sterbenden in ihren letzten Tagen helfen kann. Unkenntnis und Unsicherheit über den Umgang mit sterbenden sind bei Medizinern und Pflegekräften nicht ungewöhnlich und vielleicht sogar notwendig um sich selbst zu schützen. „Vor sechzig Jahren, war es noch Gang und gebe, sterbende Angehörige zu Hause gepflegt, geborgen und begleitet zu wissen.
Das Wissen um einen angstfreien, schmerzfreien Sterbeprozess und deren Begleitung muss (wieder) viel mehr in die Betreuung sterbender Menschen einbezogen werden, so wie es in vielen Kulturkreisen und zum Beispiel in buddhistischen Ländern üblich ist. „Menschen, die nicht mehr sprechen, sich nicht mehr bewegen, sich selbst nicht mehr berühren können, sind hoch traumatisiert“, so Frau Mihm. Weil alltägliche Pflege oft zeitoptimiert ist, Pflege individuelle Bedürfnisse nicht mehr erfüllen kann, igeln sich die Patienten ein, wollen aus Scham in Ruhe gelassen werden und ein Teufelskreis beginnt. Distanz und das Abarbeiten von Versorgungsabläufen ohne Empathie und Mitgefühl bringen den Sterbenden in eine Abhängigkeit, in der er seine Würde und seine Persönlichkeit verliert, in einen Dämmerschlaf, von dem viele sagen, „der bekomm ja sowieso nicht mehr mit.“
Gutes Sterben – was ist das? Zack und weg, wie ein Baum? Still im Schlaf? Langsames sich Verabschieden durch eine Krankheit? Ein selbstbestimmter Tod? Sterben und Tod erinnern uns daran, dass wir die Wahl und die Verantwortung haben, unser Leben als Leiden und Unbewusstheit zu leben oder das Sterben als einen Teil des Lebens zu betrachten und uns damit aktiv auseinander zusetzen. Jederzeit an die eigene Sterblichkeit denken und sich dennoch oder gerade deshalb im Alltag an den kleinen schönen Dingen des Lebens freuen, ist das erste der „Sieben Geheimnisse guten Sterbens“, die Dorothea Mihm vorträgt. Klammern, Festhalten, Gleichgültigkeit, nicht ausgesöhnt sein mit sich und anderen, hindern uns hingegen an einem friedlichen Sterbeprozess. Innere Hindernisse überwinden, das Sterben besser verstehen, bewusst wahrnehmen, loslassen können und die Liebe finden. Das sind die sieben Geheimnisse des guten Sterbens- aber auch des guten Lebens!
Schade, dass man es sagen muss, gut das man es lernen kann!
Die spirituelle Begleitung von Sterbenden bedeutet, die Interessen des Todgeweihten wahrzunehmen und in der Pflege zu berücksichtigen. Stille lernen, Sterben erklären, Ängste, die aus Kontrollverlust entstehen, ernst nehmen. Das macht Patienten und Angehörige gelassener und angstfrei. Neben der spirituellen Begleitung ist ein ganz wesentlicher Punkt in der Begleitung von Koma- Patienten und Sterbenden der Körperkontakt durch die sogenannte Basale Stimulation. Hören, Sehen, Fühlen geht viel langsamer als beim gesunden Menschen. Aber zu erkennen, dass der Sterbende wahrnimmt und positive und negative Empfindungen hat, ist eine wesentliche Erkenntnis dieser Therapie. Echtes Interesse am Patienten, Zuwendung und Respekt lassen das Unabwendbare leichter akzeptieren und geschehen.
Der sehr persönlichen, berührenden Lesung mit vielen Beispielen aus ihrem Alltag als Palliativ- Schwester folgte eine Diskussionsrunde. Die Palliativversorgung steht auf fünf Säulen, machte Dorothea Mihm noch einmal deutlich. 80% macht die Medizin und Pflege aus. Doch Psychologie, Hospiz- und Sozialarbeit, sowie die spirituellen Ebene sind wichtige Elemente um sinnloses Kämpfen, Ohnmacht und Hilflosigkeit der Betroffenen zu begegnen. Liebe und Mitgefühl sind dem Tod und der Angst überlegen und schenken tiefen Frieden.
Die Palliativ- Fachkräfte und die freiwilligen Helferinnen und Helfer des Hospizvereins Viernheim leisten einen großen Teil der zwischenmenschlichen Hilfe. Sie sind bemüht die Selbstversorgungskompetenz der ihnen anvertrauten Personen so lange wie möglich zu erhalten. Sie führen Gespräche, sind behilflich Unerledigtes zu regeln und sich mit dem Leben, dem Schicksal und dem Tod auseinanderzusetzen.
Bei Fragen können Sie die MitarbeiterInnen per E- Mail an viernheimer_hospizverein@web.de oder unter der Telefonnummer 06204/ 602559 erreichen. Sie werden ggfs. zurückgerufen.