Von Cargo Kulten und dem „so tun als ob“

 

Haben Sie schon mal von Cargo-Kulten gehört? Als Cargo-Kult bezeichnet man eine politische, quasi religiöse Bewegung. Die Gläubigen leben hier in der Erwartung, dass man durch das Imitieren von Verhalten, eine erwünschte Wirkungen erzielen kann. So wie die Eingeborenen im der Südsee im zweiten Weltkrieg, die die Amerikaner beobachteten wie diese in Funkgeräte sprachen und dann Flugzeuge vom Himmel kamen und Waren brachten. Wenn man sich nun aus Bambus und einem langen dünnen Stock etwas baut, was aussieht wie ein Funkgerät, – also so tut als ob – sollten es doch möglich sein, dass die Götter wieder Waren vom Himmel fallen lassen? Machen Sie sich mal den Spaß und lesen das bei Wikipedia nach.

 

Das „so tun als ob“ und auf Wirkung zu hoffen, scheint mehr und mehr auch Mittel der kommunalen Politik zu werden. Da wird berichtet wie positiv die Innenstadt sich doch entwickelt und es gäbe sogar mehr Nachfrage nach Ladenflächen in der Innenstadt als Angebot. Da braucht‘s dann sogar die Maskenpflicht in der Innenstadt, bei dem Gedränge und Geschiebe der vielen Menschen in der Innenstadt, nicht wahr? Und dann noch die neue „Immobilienbörse“ auf der Webseite der Stadt Viernheim. Offensichtlich meinte man der viel professioneller aufgebauten Immobilienbörse der Metropolregion noch ein weiteres Instrument zur Seite stellen zu müssen. Wird hier nur so getan als würde man Probleme lösen oder zeichnen sich die Erfolge tatsächlich bald ab?

 

Viele weitere Beispiele lassen sich aufzählen, wie das inzwischen über ein Jahrzehnt andauernde Bemühen um ein Rathaus, jahrelange Diskussionen um den Tivolipark, schon über zwei Jahrzehnte ist die Innenstadt Thema, deren Begrünung zwar vor exakt einem Jahr beschlossen wurde, die Umsetzung aber noch heute auf sich warten lässt. Oder die Einführung der Möglichkeit im Bürgerbüro bargeldlos mit Karte bezahlen zu können, von der es seit Mai 2020 hieß, dass daran gearbeitet werde. Oder der Running Gag von den Parkplätzen an der Apotheke am Königsacker? Der inzwischen dritte Stadtrat wird sich wohl drum kümmern. Und wie war das doch gleich mit dem Klimaschutz? Energiewende mit Kleinstprojekten und für die Verkehrswende dreht der leere Stadtbus einsam seine Runden. Wo bitte kommen wir irgendwie voran? Ach ja, das „Zukunftsprojekt“ Abwassersammler in der Saarlandstraße ist begonnen. Wegen der Überschwemmungen bei Starkregen von vor über zehn Jahren. Zukunftsprojekt? Wohl eher Bewältigung der Versäumnisse der Vergangenheit.

 

Stattdessen ruht man sich aus auf Erfolgen der Vergangenheit: Die Auszeichnung zur Brundtlandstadt aus dem Jahr 1994 (!) wird immer wieder gerne aus den Kellern des Heimatmuseum ausgegraben und wie eine Monstranz durch die Straßen getragen. Doch wirkliche Erfolge, die man mit Stolz vorzeigen konnte, gab es schon lange keine mehr. Der große Wurf bei den aktuellen Themen und Problemen steht aus, stattdessen lobt und schreibt man sich die kleinsten Aktivitäten schön. „So tun als ob“ eben. Und das Stadtparlament lässt in Form einer großen Koalition aus sechs Parteien das alles zu – zumindest hört man von Vorschlägen und von Kritik eher wenig.

 

Ihr Politikerinnen und Politiker: Hört endlich auf mit den Viernheimer Cargo Kulten und löst die Problemen unser Stadt! Schließt die unbequemen Kritiker nicht aus, denn erstens könnten sie in Teilen Recht haben und zweitens würden sie sich nicht die Mühe machen, die Kritik öffentlich zu üben, wenn sie nicht an Viernheim interessiert wären. Bindet die Bürgerinnen und Bürger ein, denn sie wissen mehr als Ihr glaubt! Damit hätten wir eigentlich ganz gute Karten in der Hand, wirklich etwas zu bewegen und vielleicht preisverdächtig mal wieder voraus zu gehen. Und nicht nur „so zu tun als ob“ und das Prinzip Hoffnung.

 

Wolfram Theyman