Leserbrief von Wolfram Theymann
Bürokratie und Viernheim: Genau meine Art von Humor
Da schimpft der Bürgermeister im Sozial- und Kulturausschuss über die überbordende Bürokratie, die ihm in seinem Alltag begegnet. Fast gleichzeitig beschließt der Haupt- und Finanzausschuss mit der Baumsatzung neue Bürokratie. Demnächst muss man, bevor man einen Baum in seinem eigenen Garten fällt, dies bei der Stadt beantragen.
Einerseits auf die Bürokratie schimpfen und dann gleichzeitig neue schaffen. Ich würde ja sagen, das ist genau mein Humor, aber Sarkasmus ist in Leserbriefen eher schwierig.
Auffällig jedoch das Muster, denn die Stadt und Ihre Führung drehen sich die Dinge so wie es gerade passt. Auf Bürokratie schimpfen und auf der anderen Seite gleichzeitig neue schaffen. Merken die eigentlich nicht selbst, dass das im Widerspruch zueinander stehen könnte? Oder ist selbst gemachte Bürokratie besser als die, die man selbst ertragen muss?
Apropos Widersprüchlichkeiten und Baumsatzung: Die Stadt räumt sich hier umfangreiche Mitspracherechte ein, wenn Menschen in Viernheim einen Baum in ihrem eigenen Garten fällen wollen. Zum Beispiel, weil sie den Garten umgestalten wollen, bauen wollen oder aus welchem Grund auch immer einen Baum loswerden wollen.
Gleichzeitig fällt man aber reihenweise Bäume für städtische Vorhaben. Am Kindergarten Kapellenberg, an der Flüchtlingsunterkunft am Heinrich-Lanz-Ring und andernorts. Wenn Bürgerschaft und Stadt im Baumfällen gegeneinander antreten würden, dürfte die Stadt in diesem und im vorhergehenden Jahr mit deutlichem Vorsprung gewinnen. Nach den Baumfällungen am Kapellenberg, am Heinrich-Lanz-Ring und anderswo hätte ich erwartet, dass man sich schämend in irgendeine Ecke verzieht und sich nicht traut gleich noch die Baumschutzsatzung zu verabschieden.
Bei den Bürgern will die Stadt mitreden und macht Auflagen. Schutz der Natur und so. Bei eigenen Projekten werden die kurzerhand über den Haufen geworfen und mal eben reihenweise Bäume gefällt. So wichtig ist es dann mit dem Naturschutz dann doch nicht. Wie es halt gerade passt. Bürger müssen Ersatzpflanzungen vornehmen und auch die Mindestgröße des Ersatzbaums wird vorgeschrieben. Und hat man keinen Platz für einen Baum, dann ist vorgeschrieben, dass es dann mindestens „ein Großstrauch“ zu sein hat. Wie war das doch gleich mit der Bürokratie? Und wo stehen eigentlich die Ersatzbäume und „Großsträucher“ für die gefällten Bäume der Stadt? Das Misstrauen der Stadt und ihrer Leitung als auch der Politik gegenüber der Bürgerschaft scheint grenzenlos zu sein.
Bei Vorgärten will die Stadt auch mitreden. Steingärten dürfen es auf keinen Fall sein, sondern grün wird verlangt. Ich bin auch für grün und gegen Steine, aber kann man das nicht in der Verantwortung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger lassen? Und im Vergleich dazu wieder die Steingärten der Stadt: In der Innenstadt wehren sich die Verantwortlichen der Stadt mit Händen und Füßen gegen jeden Versuch, doch den einen oder anderen Baum in die Steinwüste setzen zu können. Steingärten als Vorgarten sind schlecht, als Innenstadt aber wiederum okay.
Und was macht die Bürgerschaft? Sie nimmt es sportlich. Die Stadt hat gar nicht die personellen Ressourcen, das alles zu kontrollieren und zu bearbeiten. Das Problem dabei ist, dass die Menschen angesichts der vielen Regeln immer WENIGER ihren gesunden Menschenverstand und den eigenen moralischen Kompass nutzen, sondern ihr Handeln nach der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ausrichten. Für das gesellschaftliche Miteinander nicht gerade förderlich!
Wolfram Theymann
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