Immer ist der Wähler schuld?!

Es ist mal wieder soweit: In Thüringen und Sachsen waren Landtagswahlen und die Ergebnisse fallen auf. Während die etablierten Parteien im Westen nach wie vor glauben, das politische Spielfeld zu dominieren, sieht die Lage im Osten nun faktisch anders aus. Hier werden SPD und Grüne gnadenlos abgestraft, die FDP löst sich quasi auf, während die CDU mit dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten in Sachsen und einem kleinen Plus auf niedrigem Niveau in Thüringen kaum von der Ampelmüdigkeit profitieren kann. Die AfD hingegen gewinnt an Boden und eine neue Kraft taucht am politischen Horizont auf: Das BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht), das eine linkskonservative Alternative bietet und ebenfalls beachtliche Wahlerfolge erzielt. Viele im Westen mögen sich fragen: Warum wählen die Ossis so anders, so komisch? Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass diese Ergebnisse keine Überraschung sind, sondern das logische Resultat einer Politik, die den Osten seit Jahren vernachlässigt. Die Menschen in Thüringen und Sachsen haben sich nicht etwa gegen die Demokratie gewandt. Im Gegenteil: Über 90% der Ostdeutschen stehen hinter der Demokratie, wie sie in der Verfassung verankert ist. Aber genau hier liegt das Problem. Diese Menschen glauben an die Ideale der Demokratie, doch das, was sie in ihrem Alltag erleben, ist oft weit davon entfernt. Für sie fühlt sich die gelebte Demokratie wie ein leeres Versprechen an, in dem ihre Sorgen und Nöte nicht gehört werden. Werden sie zu ihrer Meinung zu der „gelebten Demokratie“ gefragt, sinkt die Zustimmung auf unter 55 Prozent. Doch anstatt sich selbstkritisch zu hinterfragen, ist die Reaktion auf diese Wahlergebnisse der etablierten Parteien meist die gleiche: Natürlich sind es die Wähler, die schuld sind. Es scheint immer einfacher zu sein, den Finger auf die vermeintlich „unvernünftigen“ Wähler zu richten, anstatt sich mit den tieferliegenden Problemen auseinanderzusetzen, die zu diesen Entscheidungen geführt haben. Wer sich die sozioökonomischen Fakten ansieht, versteht schnell, warum das so ist. In Thüringen und Sachsen ist die Arbeitslosenquote höher als im Westen, die Löhne sind niedriger und die Abwanderung junger Menschen setzt den Regionen weiter zu. Während die Großstädte im Westen boomen, kämpfen viele ländliche Regionen im Osten ums Überleben. Die Menschen fühlen sich abgehängt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Die etablierten Parteien haben es nicht geschafft, diesen Frust ernst zu nehmen und die realen Probleme der Menschen anzugehen. Jahrzehntelang wurde im Namen einer neoliberalen Sparpolitik die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geöffnet, was zu einer Stärkung der AfD und einer wachsenden Politikverdrossenheit beigetragen hat. Der Zusammenhang zwischen Sparpolitik und der Stärkung rechter Parteien in Krisenzeiten ist längst bekannt. Doch statt zu handeln, werden staatliche Dienst- und Sozialleistungen weiter gekürzt oder durch Inflation schleichend entwertet. Besonders betroffen sind jene, die ohnehin schon mit jedem Cent rechnen müssen. Kein Wunder also, dass in diesem Klima des Mangels und der Unsicherheit nationalistische und fremdenfeindliche Einstellungen gedeihen. Während die AfD dieses Klima nutzt, um mit rechtspopulistischen Parolen und spalterischer Rhetorik Ängste zu schüren, hat das BSW eine andere Art von
politischer Ausrichtung gewählt. Es konzentriert sich auf die sozialen Fragen, die viele Ostdeutsche bewegen: gerechte Löhne, sichere Arbeitsplätze und eine Politik, die die Menschen im Alltag spürbar unterstützt. Doch anstatt sich mit den berechtigten Anliegen des BSW auseinanderzusetzen, reagieren die etablierten Parteien reflexartig: Auch das BSW und deren Wähler werden schnell als „Putin-treu“ diffamiert – ein Vorwurf, der jeglicher sachlichen Auseinandersetzung entbehrt und nur dazu beiträgt, den politischen Diskurs weiter zu vergiften. Es reicht nicht, die AfD, das BSW und deren Wähler zu beschimpfen oder zu belehren; das Problem liegt tiefer. Die Menschen im Osten wollen keine leeren Versprechungen mehr, sondern echte, greifbare Verbesserungen ihrer Lebenssituation. Wenn die etablierten Parteien nur den Gegner diffamieren, ohne eigene, überzeugende Lösungen anzubieten, darf man sich nicht wundern, wenn die AfD weiter an Zustimmung gewinnt. Die aktuelle Politik führt zu einer Umverteilung von fleißigen Arbeitnehmern hin zu den Reichen, was die wachsende Ungleichheit weiter verschärft. Die marode öffentliche Infrastruktur bremst das Wachstum und hat die Deutsche Bahn zu einem Symbol für das Versagen der Politik gemacht. Obwohl Deutschland dank der „Schwarzen Null“ die niedrigste Schuldenquote aller großen Industrieländer hat, hilft dieser „Schönheitspreis“ in der Praxis wenig. Die verpassten Zukunftsinvestitionen rächen sich nun und die Wähler im Osten, die seit Jahren vernachlässigt werden, haben genug davon. Was könnte man tun? Eine mögliche Lösung wäre, die Schuldenbremse zu lockern, um dringend benötigte Investitionen zu tätigen. Selbst der Internationale Währungsfonds, der nicht gerade für linke Ideologie bekannt ist, empfiehlt, die Schuldenbremse um ein Prozent der Wirtschaftsleistung zu lockern. Dies würde auf einen Schlag mehr Spielraum für sinnvolle und notwendige Investitionen schaffen. Doch die Ampelkoalition scheint nicht einmal zu diesem minimalen Kompromiss fähig zu sein. Stattdessen demontieren sie weiter das Land, sparen und streiten, bis die AfD die nächsten Wahlen gewinnt. In Thüringen und Sachsen haben die Menschen klar gemacht, dass sie genug haben. Sie sind nicht gegen die Demokratie, aber sie sind enttäuscht von den etablierten Parteien. Wenn diese Parteien weiterhin die Wähler für ihre eigenen Versäumnisse verantwortlich machen und glauben, dass die Diffamierung ihrer politischen Konkurrenz ausreicht, um Vertrauen zurückzugewinnen, werden die Wahlergebnisse weiter zugunsten der AfD ausfallen. Und währenddessen verschwinden dann FDP und Die LINKE, einst bedeutende Kräfte, unter „Sonstige“ – ein deutliches Zeichen dafür, wie tief die politische Landschaft erschüttert wurde. Es wäre an der Zeit, dass die politischen Akteure aufwachen und endlich handeln, anstatt sich weiter an die Pöstchen zu klammern. Die Herausforderung ist groß, doch sie birgt auch die Chance, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Dies kann gelingen, wenn die Politik beginnt, den realen Sorgen der Bevölkerung zuzuhören und diese ernsthaft anzugehen – und so den demokratischen Zusammenhalt wieder zu stärken.