Foto: Dr. Henrik Stülpner

Viernheim (W.Zimmer) – Ein wichtiges Symbol des Tags der Organspende, der immer am ersten Samstag im Juni stattfindet, ist seit Jahren die bildhafte Aktion „Geschenkte Lebensjahre“, die von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach als Schirmherr unterstützt wird. Dabei halten Organempfängerinnen und -empfänger Schilder hoch mit jeweils der Anzahl an Lebensjahren, die sie durch die Organtransplantation gewonnen haben. „Dies ist einer der emotionalen Höhepunkte der Veranstaltung, damit geben wir der Organspende viele Gesichter und zeigen eindrücklich, dass Organspende Leben rettet – unabhängig vom Alter und oft über viele Jahre bis Jahrzehnte“, unterstreicht Gerd Böckmann, Vorsitzender der Lebertransplantierten Deutschland e.V., selbst seit neun Jahren lebertransplantiert.

Der Tag der Organspende hat inzwischen eine lange Tradition. 1983 wurde er von Selbsthilfegruppen initiiert, um das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen und auf die Problematik des Organmangels aufmerksam zu machen. Wie sehr es beim Thema Organspende auf die Entscheidung ankommt, zeigen die Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Danach wurden zwei Drittel der Entscheidungen von den Angehörigen getroffen, lediglich ein Drittel von der verstorbenen Person selbst. Der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel, erklärt: „Viel zu oft scheitern Organspenden an einer fehlenden Zustimmung. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen Angehörige entscheiden müssen, ohne den Willen des Verstorbenen zu kennen. In 2023 war dies erneut einer der Hauptgründe, warum eine Spende bei potenziellen Organspendern nicht stattgefunden hat. Das zeigt deutlich, wie schwierig es für die Familien ist, diese Entscheidung stellvertretend für eine andere Person zu treffen.“ Deshalb solle man zu Lebzeiten selbstbestimmt über „Ja“ oder „Nein“ entscheiden und das auch dokumentieren.

„Seit mehr als zehn Jahren treten wir auf der Stelle. Die bisher umgesetzten Maßnahmen und Reformen reichen nicht aus und die Zahl der Organspenden stagniert nach wie vor in Deutschland auf niedrigem Niveau mit nur leichten Schwankungen von Jahr zu Jahr. Auch die aktuelle bundesweite Entwicklung der ersten vier Monate in 2024 lässt mit 292 postmortalen Organspendern (2023: 311) wenig Hoffnung auf eine längst notwendige Trendwende für die fast 8.400 Menschen auf den Wartelisten, für die jedes gespendete Organ Hoffnung auf ein Weiterleben bedeutet“, betont DSO-Vorstand Rahmel. Umso wichtiger sei es, bundesweit ein Zeichen zu setzen und auf das Schicksal dieser Patienten aufmerksam zu machen. Jeder einzelne von uns könne dabei persönlich ein Zeichen setzen, indem er seine Entscheidung in einem Organspendeausweis oder im neuen Organspende-Register dokumentiert.

Seit März dieses Jahres kann die Entscheidung zur Organspende in dieser online- Datenbank registriert werden.  Dazu sagt Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: „Vor gerade einmal drei Monaten ist das Organspende-Register online gegangen. Seitdem haben bereits 120.100 Menschen dort ihre Erklärung zur Organspendebereitschaft registriert. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.“

Birgit Blome, Pressesprecherin der Deutschen Stiftung Organtransplantation gibt zu bedenken: „ Die erfreulich hohe Zahl der Registrierungen in den ersten Tagen nach Einführung des Registers ist positiv zu bewerten. Allerdings setzte sich die Zahl der Registrierungen seitdem nicht in dem Tempo fort“, sagt sie. Es könne noch Jahre dauern, bis ein signifikanter Teil der Bürgerinnen und Bürger ihren Willen im Register dokumentiert hätte, befürchtet sie. Viele Kliniken stehen vor dem Dilemma, dass Menschen, die für eine Organspende in Frage kommen, keine Festlegung darüber getroffen haben. In Ungewissheit über den Willen der Verstorbenen fühlen sich Angehörige dann häufig überfordert und entscheiden sich gegen eine Organspende.

Jede einzelne Entscheidung zählt, nicht nur am Tag der Organspende. Die Einführung der Widerspruchslösung hätte folgende Vorteile:  – Es gäbe weniger Fälle von Menschen, die ohne Organentnahme bestattet werden, obwohl sie bereit wären für eine postmortale Spende.  – Für Angehörige wäre die Situation einfacher, wenn sie wissen, dass ihr Verwandter einer Organentnahme aktiv widersprochen hat- oder eben nicht, obwohl er es hätte tun können. – Es gäbe weniger Vermutungen über den Wunsch eines Verstorbenen und weniger Patienten auf der Organwarteliste.

                                                                                                                                               

 

Dr. Henrik Stülpner, Zahnarzt in Viernheim, und seine Familie setzen sich  seit vielen Jahren mit dem Thema Organspende auseinander. Er will aufzeigen, wie wichtig die Entscheidung ist und Mut machen, darüber zu reden.  Im Mai 2014 starb seine damals 14-jährige Tochter, weil ein dringend benötigtes Spenderherz nicht  zur Verfügung stand. 7 Jahre zuvor spendete Dr. Stülpner seiner jüngeren, damals 5-jährigen Tochter, heute 22 Jahre alt, eine Niere. Nach fast 16 Jahren brauchte die Tochter im vergangenen Jahr eine neue Niere. Diesmal stand die Mutter als Spenderin bereit. Wäre dies nicht möglich gewesen, hätte das für die junge Studentin dreimal pro Woche Dialyse und mindestens 8 bis 9 Jahre Wartezeit auf eine Organspende durch einen medizinisch geeigneten Verstorbenen bedeutet. Eine körperlich und seelisch belastende und Lebenszeit raubende Alternative.

Dr. Stülpner befürwortet die Widerspruchslösung und appelliert: „Wir kennen die Angst vor Organversagen, das Hoffen auf ein Spenderorgan, das vergebliche Warten, die Belastung einer Dialyse, die Entscheidungsfindung für eine Lebendspende und die glückliche Entwicklung nach erfolgreicher Transplantation. Bedenken zu haben, Organe zu spenden, sind legitim. Aber sich zu informieren, persönlich abzuwägen und die eigene Entscheidung zu dokumentieren, halte ich für unser aller Pflicht. Es gibt dabei kein richtig oder falsch. Doch! Ein „falsch“ gibt es für mich, wenn man sich mit dem Thema gar nicht befasst oder es verdrängt.

Das Bemühen, eine Widerspruchslösung auch in Deutschland zu etablieren, muss unbedingt weiterverfolgt werden. In unseren Nachbarländern wird sie erfolgreich zum Wohle vieler todgeweihter Patienten praktiziert und die Mehrheit der Bevölkerung sieht sich durch diese offensive „Organspende-Kultur“ offensichtlich nicht in ihrer Freiheit eingeschränkt. Warum auch? Wer seine Organe nicht spenden möchte, kann ja auch das in seinem Ausweis entsprechend festhalten.

Die seit 2012 bei uns geltende Entscheidungslösung sieht vor, dass Bürgerinnen und Bürger regelmäßig neutral über die Organspende aufgeklärt werden sollen, etwa von Krankenkassen. So sollen sie eine selbstbestimmte Entscheidung treffen und dokumentieren. Wann haben Sie das letzte Mal Infopost der Regierung oder von Ihrer Krankenkasse zum Thema Organspende erhalten? In unserer Familie ist das Jahre her.

Neben der im Jahr 2020 abgelehnten Widerspruchslösung gab es einen Gesetzesentwurf für eine aktive Patientenabfrage alle zwei Jahre durch den Hausarzt oder bei Verlängerung des Personalausweises. Diese Herangehensweise ist meiner Ansicht nach viel zu zeitraubend, zu kostenintensiv und durch bürokratische Hürden zum Scheitern verurteilt. Aufklärungsarbeit wird damit an überlastete Arztpraxen oder gar fachfremde Verwaltungsangestellte abgewälzt. Seit März 2024 kann man eine persönliche Erklärung zur Organspende in einer zentralen Datenbank abgeben. Dazu bedarf es aber eines elektronischen Personalausweises und einer gewissen Internetaffinität. Sich zu informieren und sich Gedanken über das eigene für und wider der Organspendebereitschaft zu machen, ist für jede Form Dokumentation oder Registrierung unerlässlich.

Auf der Tür zum Zimmer eines Arztes unserer Tochter klebt ein Aufkleber mit dem Text „Don’t take your organs to heaven, heaven knows we need them here!” Ja, unter der Erde und im Himmel nutzen unsere Organe niemandem mehr.

In diesem Sinne bitte ich Sie: Sprechen Sie in Ihren Familien darüber, was Sie beim Thema Organspende empfinden. Stellen Sie sich einen Moment lang vor wie es wäre die Diagnose Zystennieren, Herzinsuffizienz oder Lungenversagen zu erhalten und zu erfahren, dass Ihr Leben oder Ihre künftige Lebensqualität wesentlich von einer Organspende abhängt. Stellen Sie sich dann vor, für den Fall einem Hirntod zu erliegen, und nur dann, selbst Organspender zu werden und damit Leben über Ihren Tod hinaus zu ermöglichen!  Mit dem Ausfüllen eines Organspendeausweises verfügen Sie Ihren Willen und nehmen Ihren Angehörigen eine enorme Entscheidungslast ab. Ich hoffe darauf, dass unsere Bundesregierung sich dem Eurotransplant Verbund anpasst, positiv über die Widerspruchslösung entscheidet und diese zeitnah umsetzt.“