Wesentlich mehr Menschen würden den Weg in eine Kita finden, wenn zahllose Hürden beseitigt würden
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Viernheim (Stadt Viernheim) – Kein Kita-Platz trotz Rechtsanspruch, gekürzte Öffnungszeiten für die, die einen Platz haben, und teilweise sogar ganz verschlossene Türen: Diese Probleme beschäftigen vielerorts Kinder und Eltern, Kita-Personal und Kommunen. Eine Hauptursache ist der Mangel an Fachkräften, dessen Beseitigung oft durch eine überbordende Bürokratie behindert wird. Der Hessische Städte- und Gemeindebund (HSGB) hat das Thema nun für Gesamthessen aufgegriffen und gemeinsam mit den Kommunen Viernheim und Eppertshausen in einem digitalen Pressegespräch die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Fachkräften in der Kinderbetreuung thematisiert. Der nachdrückliche Appell an die Landesregierung: dem Mangel an Personal endlich mit entschlossenen Korrekturen der Landesgesetze gegenzusteuern.

 

Viernheims Fachkräfteinitiative lässt das ganze Dilemma zutage treten

Oft gleichen die bestehenden Regelungen in der kommunalen Praxis einem langwierigen Hindernislauf, wie Bürgermeister Matthias Baaß, zugleich Vize-Präsident des HSGB, zu berichten weiß. Aktuell baut die Stadt das Platzangebot in den Kindertagesstätten aufgrund des hohen Bedarfs weiter aus. Doch was nützen zusätzliche Räume, wenn das Personal fehlt? Um dem entgegenzuwirken, hat Bürgermeister Baaß im September 2023 gemeinsam mit allen Trägern von Kindertagesstätten in Viernheim die Initiative „Fachkräfte für Viernheimer Kitas“ gestartet. Die Kampagne richtet sich an Jugendliche in weiterführenden Schulen, Zusatz- und Hilfskräfte in Kitas, Berufsrückkehrer und Menschen mit Migrationsgeschichte.

 

Die Projektleitung obliegt Maria Lauxen-Ulbrich, städtische Gleichstellungsbeauftragte, die seit Projektbeginn mit weit über 60 Personen in Einzelkontakt steht, um ihnen den Weg in den Beruf zu ebnen. Sieben Personen haben bereits eine Ausbildung begonnen, drei konnten direkt in einer Kita arbeiten. Zudem wurde in Zusammenarbeit mit dem Verein Lernmobil e.V. ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderter B2-Berufssprachkurs mit frühpädagogischen Inhalten für sieben Personen initiiert. Für mehr als weitere 20 Personen

 

laufen aktuell intensivste Bemühungen, Abschlüsse anerkennen zu lassen oder für Qualifizierung zu sorgen. Die Bürokratie wird dabei immer wieder zu einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis.

 

Maria Lauxen-Ulbrich schildert passend dazu das Beispiel einer Mutter, die in Syrien als Musiklehrerin ausgebildet wurde. Sie darf in Deutschland noch nicht einmal als pädagogische Zusatzkraft arbeiten, obwohl ihr die Leitung der Kindertagesstätte, in der sie probeweise eingesetzt wurde, eine hervorragende Arbeit attestieren konnte. „Seit 2018 kämpft sie darum, dass ihre ausländischen Abschlüsse in Deutschland anerkannt werden“, berichtet Lauxen-Ulbrich. „Sie wird von einer Behörde zur nächsten geschickt, jedes Mal verbunden mit entsprechenden Auflagen, die zu erfüllen sind. Trotz absolvierter Qualifizierungsmaßnahmen und eines B2-Deutsch-Zertifikats und mit Unterstützung der Stadt ist es bis heute nicht gelungen, dass sie langfristig als pädagogische Zusatzkraft oder mit entsprechender Fortbildung als so genannte ‚Fachkraft zur Mitarbeit‘ in der Kita beschäftigt werden darf.“ Selbst eine positive Entscheidung auf Landesebene über eine „Sonderregelung pädagogisches Kompetenzprofil“ endete in einer Sackgasse: Der bürokratische Hindernislauf geht nun auf Kreisebene weiter. Dort muss als Nächstes eine Einzelfallentscheidung mit Anstellungsmöglichkeit getroffen werden, die dann allerdings nur für diese Kita gilt. Sollte sie zukünftig bei einer anderen Kita des gleichen Trägers beschäftigt werden, müsste eine erneute Antragstellung beim übergeordneten Jugendamt erfolgen.

 

Aber auch die unterschiedliche Handhabung in den einzelnen Bundesländern erschweren den Weg einer Qualifizierung. So kann eine langjährige Kita-Mitarbeiterin (Hauswirtschaftskraft und pädagogische Zusatzkraft), die über einen Hauptschulabschluss und eine kaufmännische Ausbildung verfügt, in Hessen keine Erzieherausbildung beginnen, da die formalen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Nur durch das baden-württembergische Angebot „Direkteinstieg Kita“ konnte sie eine verkürzte praxisintegrierte Ausbildung mit Beschäftigungsgehalt zur sozialpädagogischen Assistenz starten. Ohne die finanzielle Unterstützung durch die Stadt Viernheim wäre diese Ausbildung jedoch nicht möglich gewesen, da Hessen im Gegensatz zu Baden-Württemberg keine entsprechende Förderung vorsieht.

 

Grundsätzlich besteht für interessierte Menschen mit Hauptschulabschluss in Hessen kein Ausbildungsweg. Es muss in jedem Fall ein Mittlerer Abschluss vorliegen. Während Jugendliche mit Hauptschulabschluss in Baden-Württemberg eine dreijährige Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistenz mit Ausbildungsgehalt absolvieren können, gibt es in Hessen keine vergleichbare Möglichkeit. In Hessen existiert dieser Ausbildungsberuf nicht, weshalb Kommunen keine Ausbildungsvergütung zahlen können – eine Lösung gibt es bislang nicht.

 

Sehr viel mehr Menschen würden den Weg in die Tagesstätten finden, wenn zahllose Hürden beseitigt würden und man mehr Vertrauen in die handelnden Personen vor Ort setzen würde“, kritisiert Baaß. Kein Träger und keine Kita-Leitung stellt ungeeignetes Personal ein – dafür braucht es keine Dreifachprüfung durch die Behörden!

 

Rund 70 Kilometer weiter nördlich von Viernheim kämpft die zum Rhein-Main-Gebiet zählende Gemeinde Eppertshausen mit ähnlichen Problemen. Vor allem das Thema Kindertagespflege und die damit verbundenen Hürden sorgen für Diskussionsstoff, wie Carsten Helfmann, Bürgermeister der Gemeinde und zugleich Erster Vizepräsident des HSGB, an einigen Beispielen verdeutlicht.

 

 

 

Forderungen des Hessischen Städte- und Gemeindebundes an die Landesregierung:

 

  • Der Zugang zu den Kita-Berufen muss erleichtert werden, die Personalstandards flexibler gestaltet werden.
  • Die Anerkennung von Quereinsteigern kommt gut ohne die Prüfung der Jugendämter aus, ob die Kraft zum Träger passt, denn das hat der Träger schon geprüft.
  • Die Träger sollten auch (wenn es passt) bis zu 50 Prozent Quereinsteiger (Fachkräfte zur Mitarbeit nach Paragraf 25b Abs 2 Nr 6 HKJGB) beim Mindestpersonalbedarf anrechnen dürfen.
  • Die Vorgaben für notwendige Aus- und Fortbildungen müssen flexibler werden.

 

 

Insgesamt hat der HSGB dem Land ein umfangreiches Bündel von Flexibilisierungen vorgeschlagen“, stellt HSGB-Präsident Markus Röder, Bürgermeister der Gemeinde Hofbieber, klar und ergänzt: „Wir erwarten, dass das Land diese Linderungsmöglichkeiten nutzt.“

 

Zur Information

Der akute Personalmangel führt dazu, dass in Viernheim derzeit rund 35 Kitaplätze nicht belegt werden können. Kurzfristige Gruppenschließungen und eingeschränkte Öffnungszeiten sind auch in anderen Kommunen an der Tagesordnung. „Die gesetzlichen Vorgaben sollten mehr Wert auf Verlässlichkeit und Betreuungskontinuität legen, statt unrealistisch hohe Anforderungen an das Personal zu stellen“, fordert Baaß. Seit langem setzt er sich für verfahrensmäßige Vereinfachungen ein. Grundgedanke ist, dass den Akteurinnen und Akteuren, insbesondere den Einrichtungsträgern, mehr Vertrauen entgegengebracht werden sollte, Sachverhalte eigenständig und eigenverantwortlich sachgerecht zu beurteilen und umzusetzen.

 

Rechtlicher Hintergrund

Wer eine Kita betreibt, braucht eine Betriebserlaubnis. Die erteilt das Sozialministerium nach Abstimmung mit dem örtlichen Jugendamt. Für die meisten Städte und Gemeinden nimmt der Landkreis die Aufgaben des Jugendamts wahr.

 

Die Betriebserlaubnis setzt insbesondere voraus, dass genügend Fachpersonal da ist. Anders als im Schulbereich kommt dafür eine Vielzahl von Berufen in Betracht. Auch Quereinstiege sind möglich, allerdings ist die Anerkennung ein Hürdenlauf. So müssen beispielsweise ausländische Abschlüsse anerkannt werden (soweit, so gut) und wenn das passiert ist, muss das örtliche Jugendamt noch prüfen, ob die anerkannte Person zum Konzept der Kita passt.