Abenteuer pur im afrikanischen Busch Burkina Fasos – Erinnerungen an eine Jugendfahrt in Viernheims Partnerstadt Satonévri vor fast 30 Jahren

Foto: Focus e.V.
Viernehim (U.Klöble) – Dieses Jahr jährt sich die Städtepartnerschaft mit der afrikanischen Landgemeinde Silly in Burkina Faso zum 30. Mal. Aus diesem Anlass wollen wir einen Blick zurückzuwerfen zu den Anfängen. Der Jahreswechsel 1996/1997 führte eine Gruppe von 10 jungen Menschen aus Viernheim im Alter von 16 bis 21 Jahren, begleitet von älteren Betreuern, auf eine abenteuerliche Reise nach Satonévri in Burkina Faso. Die Städtepartnerschaft Viernheim und mit den Dörfern Sadouin, Tonon und Névri, kurz Satonévri, war bereits gegründet, aber die gegenseitigen Besuche nahmen gerade erst ihren Anfang. Erst im Jahr 2013 wurde die freundschaftliche Verbindung auf das ganze Departement bzw. Gemeinde Silly ausgeweitet. Damals war diese Reise in eine komplett andere Welt noch ein echtes Abenteuer mit unvergesslichen Erlebnissen und Eindrücken. Mit dabei waren Julia Kremser und Benjamin Bläß, die sich gerne erinnern.
Reise nach Ouagadougou
Die Anfahrt war bereits ein Abenteuer für sich. Mit Kleinbussen ging es zunächst nach Paris, wo die Gruppe in einen heruntergekommenen Flieger der Air France stieg. In der Hauptstadt Ouagadougou angekommen, wurde die Gruppe in einer Missionsstation nahe der Kathedrale untergebracht. Die Moskitonetze waren jedoch nicht vollkommen dicht, sodass einige Moskitos hindurchschlüpfen und stechen konnten. Das Frühstück fand mitten auf einem riesigen Verkehrskreisel oder in einer Einheimischenbar statt. Das ungewohnte Essen bereitete den Deutschen immer wieder Magenprobleme, teilweise gepaart mit hohem Fieber. Mit einem Schluck Whisky oder anderen hochprozentigen Alkoholika versuchte man vorzubeugen.
Akklimatisation und Einkäufe
Die ersten Tage in Ouagadougou dienten der Akklimatisation an die fremde Umgebung. Einkäufe für die Weiterreise wurden getätigt: Nahrungsmittel, Getränke, aber auch Baumsetzlinge, Medikamente und ein Wassertransportwagen wurden erworben. Die Deutschen gewöhnten sich allmählich an die afrikanischen Umgangsformen, z. B., dass für sie verbindliche Vereinbarungen von den Burkinabes viel lockerer gesehen werden. „Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit“ ist ein afrikanisches Sprichwort, das die Situation sehr gut beschrieb. Vor der Weiterreise in die entlegenen Dörfer Sadouin, Tonon und Névri riefen die Deutschen nochmals von einer öffentlichen Fernsprecherstation in der Heimat an. Für die nächsten sechs Tage gab es keinen Kontakt zur Außenwelt. Es gab damals weder ein Handy- noch ein landesweites Festnetz in Burkina Faso.
Am Silvestertag war die Abfahrt nach Satonévri für 10 Uhr geplant, doch der Bus tauchte erst am Nachmittag auf. Das Fahrzeug wurde mit Getränken, Nahrungsmitteln und Gepäck total überladen. Zusätzlich fanden Ziegen und Hühner ihren Platz im Bus. Gegen Abend war endlich Abreise. Über 30 Personen pferchten sich in den viel zu kleinen Bus. Punkt Mitternacht hielt man unterwegs im Busch, um bei einem Zwischenstopp Silvester mit warmem Bier und Feuerwerkskörpern zu feiern. Nun begann der abenteuerliche Teil unserer Nachtfahrt. Der Bus verließ die geteerte Straße und bewegte sich auf Sandpisten, die in ausgewaschene Fahrbahnen mündeten und den überladenen Bus in gefährliche Schräglagen brachten. Jeder hatte Angst, dass der Bus umkippt. So langsam graute der Morgen.
Ankunft in Satonévri
Nach einer anstrengenden Nachtfahrt erreichte die Gruppe in den frühen Morgenstunden Satonévri. Sie wurde von einer großen Menschenmenge stürmisch mit Tänzen und Schüssen aus uralten Vorderladern begrüßt. Damals waren weiße Personen das absolut Unbekannte in dieser ländlichen Gegend, weitab von allen Städten.
Das Leben in den Dörfern
Die Gruppe wurde auf verschiedene Gasteltern in den Dörfern verteilt. Ein Teil schlief im „Viernheimer Haus“ im Ortsteil Tonon. Der Alltag war von Einfachheit geprägt. Geduscht wurde mit einem Eimer Wasser, aus dem man mit einer Kalebasse, also einer kleinen Schale aus einem getrockneten Kürbis, Wasser schöpfte. Die Toilette war ein Hohlraum im Boden, der mit Holzbalken und Lehm abgedeckt war und lediglich ein kleines Loch hatte.
Auch für die Burkinabes war der Besuch aus Deutschland eine außergewöhnliche Begegnung: Täglich versammelten sich hunderte Menschen rund um das Viernheimer Haus, um die Weißen zu beobachten. Während der ganzen Tage wurde jede Handlung, jede Bewegung der Gruppe von zig Beobachtern aus der ganzen Umgebung genauestens analysiert und kommentiert. Privatsphäre gab es absolut keine. Mutige Kinder berührten die Gäste, um weiße Haut zu fühlen.
Höhepunkte und Herausforderungen
In jeder der Ortschaften Sadouin, Tonon, Névri und Silly gab es eine große Feier. In offiziellen Reden wurde der Wert der Partnerschaft für die Menschen sowohl für die Dörfer und für Viernheim beschworen. Dabei wurden die Reden stets in alle Sprachen übersetzt: Deutsch, Französisch, Moré und Gourounsi. Die Feiern zogen sich bis zum Abend hin. Tanzende Männergruppen mit Schellen an den Füßen, traditionelle Maskentänze und flotte Frauentänze boten Abwechslung zu den vielen Ansprachen.
Der Mangel an sauberem Trinkwasser war eine große Herausforderung. Zu dieser Zeit gab es auch in den größeren Städten kaum 1,5 Liter-Wasserflaschen zu kaufen, wie wir das heute kennen. Mangels Alternativen war die Gruppe gezwungen, nach dem Zähneputzen den Mund mit Cola auszuspülen, da zeitweise nur Bier und Softgetränke vorhanden waren.
Die lautstarke tierische Geräuschkulisse in der Nacht und die vielen Insekten und Kleintiere in den Lehmhütten waren ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Dafür wurde man in den Tagen des Neumonds aufgrund geringer Lichtverschmutzung mit einem phantastischen Sternenhimmel belohnt, wie man ihn bei uns noch nie gesehen hat.
Einen Tag verbrachte die Gruppe in einem Nationalpark. Da man erst spät losgefahren war, waren in der heißen Mittagszeit kaum Tiere zu sehen. Plötzlich bewegte sich aber Elefantenkuh mit ihrem Jungen aus dem Gebüsch auf die Gruppe zu, da der Busfahrer die beiden durch wilde Gesten gereizt hatte. Jeder suchte sein Heil in der Flucht Richtung Bus, von dem man sich inzwischen schon über 100 m entfernt hatte. Zum Glück drehte die Elefanten ab. Der Busfahrer lachte nur.
Abschied und Rückreise
Am schlimmsten bekam die Gruppe den Wassermangel am Tag der Abreise aus den Dörfern zu spüren. Alle Getränke außer hochprozentigen Alkoholika waren aufgebraucht. Jeder hatte furchtbaren Durst, jedoch verhinderten langandauernde Abschiedszeremonien eine zügige Abreise. In der Not trank man belastetes Brunnenwasser, das man mit Micropur Tabletten vorher aufbereitete. Es schmeckte furchtbar.
Auf der Rückfahrt nach Ouagadougou gab es einen Zwischenstopp bei den heiligen Krokodilen von Sabou, wo die Teilnehmer sich mutig auf angelockte Kaimane setzten. Laut Legende haben die Tiere einem Vorfahren das Leben gerettet und werden von den Bewohnern gefüttert und besonders geschützt. Unterwegs gab es am Straßenrand immer wieder Angebote mit frittierten Hirsebällchen, Sesamgebäck und Erdnüssen. Gegrilltes Hühnchen wurde auf Papier servierviert, das aus den inneren Lagen von Zementsäcken entnommen wurde.
Ein prägendes Erlebnis
Julia Kremser und Benjamin Bläß beschreiben die Reise als eine absolut beeindruckende und prägende Erfahrung, die sie nicht hätten missen wollen. Durch Jugendfreizeiten im Zeltlager waren sie zwar an ein einfaches Leben gewöhnt, aber diese Reise war mit nichts vergleichbar, was sie bis dahin erlabt hatten. Vieles was in Deutschland üblich ist, gibt es bis heute dort nicht. Sie möchten diese Erkenntnisse ihren Kindern weitergeben, damit diese ebenfalls lernen, vieles nicht als selbstverständlich zu betrachten.